Der Garten Eden hat seinen Glanz verloren (II)

Das deutsche Radio hat nie gesprochen!

Schlesische Arbeiter wurden in Deutschland beleidigt, ausgebeutet und betrogen. Die Konfrontation mit der realen Wirklichkeit der Bundesrepublik war für viele Autochthone ein Schock – und die Enttäuschung wuchs. Diese Stimmungswende in Oberschlesien schien die Führung der deutschen Minderheit kaum wahrzunehmen.

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Vertrieben aus dem deutschen Paradies

Die Möglichkeit, in Deutschland zu arbeiten, wurde zum Fundament einer gewaltigen materiellen Emanzipation der Autochthonen. Viele wurden wohlhabender als ihre polnischen Nachbarn. Dieser neue Wohlstand führte in der Folge zu einem sprunghaften Anstieg ihres politischen Gewichts und gesellschaftlichen Ansehens.

Für viele aber war dieser materielle Erfolg teuer erkauft. Die meisten, die damals zur Arbeit nach Deutschland gingen, gehörten einer Generation an, der der kommunistische polnische Staat die Kenntnis der deutschen Sprache genommen hatte – nicht aus eigenem Verschulden.

Daher erwarteten sie bei ihrer Ankunft in Deutschland Freundschaft, Unterstützung und Verständnis seitens der Bundesdeutschen. Stattdessen trafen sie auf überhebliche Menschen, die sie herablassend behandelten und verachteten.

Schlimmer noch: Zahlreiche private Unternehmer nutzten die mangelnde Sprachkenntnis und Unerfahrenheit der Arbeiter schamlos aus. Viele wurden betrogen. Diese Erkenntnis sprach sich bald herum – und die Begegnung mit der Realität der Bundesrepublik wurde für viele Autochthone zum Schlüsselerlebnis, oft zum Schock.

Um ihre Interessen zu vertreten, gründete eine Gruppe Engagierter im Jahr 2001 die Gewerkschaft „Pomost“, die sogar im polnischen Handelsregister eingetragen wurde. Ohne ausreichende Unterstützung scheiterte die Initiative bald.

In dieser Zeit erwachten auch die alten Dämonen des 19. Jahrhunderts: Erinnerungen an die preußischen Beamten, die mit brutaler Härte die einheimischen Arbeiter ausbeuteten und diskriminierten. Die Geschichte schien sich zu wiederholen. Auch wenn kaum jemand diese Parallelen bewusst reflektierte, kamen in vielen Familien alte Erzählungen der Großeltern über die Abneigung gegen den preußischen Staat wieder hoch.

Die in Deutschland arbeitenden Autochthonen begannen, sich in ihren eigenen Kreisen abzuschotten. Als Reaktion auf die Ablehnung durch „Einheimische“ entstand ein Rückzug in vertraute Milieus – und schließlich das Desinteresse, die deutsche Sprache überhaupt noch zu lernen.

Es war ein weiterer Wendepunkt. Plötzlich hörten viele, die in Deutschland arbeiteten, auf, sich selbst als Deutsche zu sehen. Die Bundesrepublik wurde nicht mehr als gelobtes Land empfunden, sondern als bloßer Arbeitsplatz. Längere Auslandsaufenthalte führten zu familiären Tragödien: Eltern blieben allein, Kinder wuchsen ohne Väter auf, Ehen zerbrachen. Arbeiten in Deutschland verlor seinen Glanz.

Eine neue Situation für die deutsche Minderheit

Diese Veränderung der Stimmung blieb von den Führern der Minderheitenorganisationen weitgehend unbeachtet. Man organisierte weiterhin Deutschkurse, die nur wenige interessierten, und deutsche Bibliotheken, die kaum jemand besuchte.

Doch wäre es ungerecht, nicht auch die hervorragenden Projekte der letzten Jahre zu erwähnen: das Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit und das neu gegründete Dokumentations- und Ausstellungszentrum der Deutschen in Polen.

Weniger erfolgreich waren die Versuche, ein anspruchsvolles kulturelles Leben mit oberschlesisch-deutschem Akzent zu schaffen. Schade, denn die Bundesregierung investierte erhebliche Mittel in die Entwicklung der organisierten deutschen Minderheit.

Ein Beispiel für verpasste Chancen war zweifellos der Verzicht auf die Gründung eines eigenen Radiosenders. Der Landesrundfunkrat (Krajowa Rada Radiofonii i Telewizji) in Warschau hatte der deutschen Minderheit eine Frequenz angeboten, auf der Programme in deutscher Sprache hätten gesendet werden können.

Ein deutschsprachiges Radio im Auto oder in der Küche hätte tiefe Spuren im Bewusstsein der autochthonen Gemeinschaft hinterlassen – und wäre zugleich ein wirksamer Sprachlehrer gewesen. In den Minderheitenmedien arbeiteten damals genügend erfahrene Journalisten, um ein solches Programm problemlos zu tragen.

Ein solcher Sender hätte für die autochthone Gemeinschaft eine ähnliche Bedeutung haben können wie zweisprachige Ortsschilder – sie geben das Gefühl, zu Hause zu sein.

Verlorene Visionen

Offenbar fehlte es auch an einer überzeugenden Vision einer Region mit eigener, deutscher Identität und Geschichte. Man vergaß jene Menschen, die zwar preußische Wurzeln haben, sich aber offen nicht zur deutschen Nationalität bekennen wollten.

Die Organisation erstarrte in dem Bedürfnis, eine Art universelle „Deutschtumspflege“ zu betreiben. Und doch war sie darin erstaunlich erfolgreich – denn trotz all dieser Schwierigkeiten erwies sich das Gefühl der Zugehörigkeit zum Deutschtum bei vielen Autochthonen als überraschend beständig und widerstandsfähig gegenüber allen Widrigkeiten.

Fortsetzung folgt

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Isabelle Bednarz