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Polonia

Wiesław Lewicki:

Um die deutsch-polnische Gemeinschaft zu verstehen, muss man zunächst die Geschichte der Präsenz deutscher Staatsbürger polnischer Herkunft und die Geschichte der Struktur ihrer Organisation in Deutschland analysieren. Eine solche Analyse wird auch dazu beitragen, die Erwartungen der polnischen Gemeinschaft und der Polen in Deutschland im Hinblick auf die Umsetzung des 1991 unterzeichneten deutsch-polnischen "Vertrages über gute Nachbarschaft und gegenseitige Zusammenarbeit" und die Arbeit des "Runden Tisches" während des 20. und 25. Jahrestages des Vertrages zu verstehen.

Prezes Instytutu Kultury i Mediów POLONICUS VoG Wiesław Lewicki

Die polnische Gemeinschaft in Deutschland und ihre historische Präsenz in Deutschland

Historisch gesehen kamen viele Polen aufgrund der Teilungen der Republik Polen in den Jahren 1772, 1793 und 1795 nach Deutschland. Damals lebten in Preussen auch Bewohner Schlesiens, Pommerns oder Masuren. Zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts lebten sogar etwa 3,5 Millionen Polen in Preußen, ohne ihren Wohnort zu wechseln. Dazu kam die innerdeutsche "Arbeitsmigration", insbesondere in das Ruhrgebiet. Damals wurden die ersten polnischen Organisationen in Deutschland gegründet, wie zum Beispiel "Einheit". (Jedność,1883), oder der "Polnische Berufsverband" (Zjednoczenie Zawodowe Polskie,1902). Es bildeten sich auch Bildungs-, Kirchen-, Jugend-, Frauen-, Sport- und polnische Chöre, viele Polen waren auch in der katholischen Kirche engagiert. Es entstand der Verband "Union der Polen in Deutschland" (Związek Polaków w Niemczech) und Polen wurden Minderheitenrechte gewährt.Während des Zweiten Weltkriegs wurden etwa 2 Millionen polnische Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge nach Deutschland verschleppt, von denen die meisten nach 1945 nach Polen zurückkehrten oder weiter in den Westen emigrierten. Einige von ihnen blieben dauerhaft hier, die sogenannten "dipisi". ("displaced persons"), deren Zahl in den 1950er Jahren auf etwa 100.000 geschätzt wurde. In der Nachkriegszeit begannen Aussiedler und die so genannten "Spätaussiedler nach Deutschland zu kommen. Einige dieser Menschen haben trotz des Erhalts der deutschen Staatsbürgerschaft ihre polnische Staatsbürgerschaft nicht aufgegeben und ihre polnische Identität beibehalten. Insgesamt leben nach einer Studie des Instituts für Internationale Kontakte "ifa" in der Publikation "Zwischen zwei Welten" zwischen 1,5 und 2 Millionen deutsche Staatsbürger mit polnischen Wurzeln in Deutschland und zusätzlich nach heutigen Angaben zwischen 400 und 460.000 polnische Staatsbürger, die legal in Deutschland arbeiten. Erinnern wir uns daran, dass Deutschland nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union seine Grenzen für Arbeitskräfte geöffnet hat und dass die polnische Diaspora nach der türkischen eine der größten ethnischen Gruppen in Deutschland ist.Bei einer so unterschiedlichen Genese und Herkunft der Polen in Deutschland definiere ich die polnische Gemeinschaft als eine ethnische Gruppe, die sich zu nationalen Besonderheiten bekennt, die sich um die Kultur und Sprache ihres Herkunftslandes kümmert, die stolz auf ihre polnischen Wurzeln ist, die lebendige Kontakte zu Polen pflegt und deren Bemühungen um eine Einigung innerhalb der Europäischen Union unterstützt.

Der Vertrag von 1991 und seine Bedeutung für die polnische Gemeinschaft und für die Polen in Deutschland
Sicherlich war der am 17. Juni 1991 unterzeichnete deutsch-polnische Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit für beide Seiten eine erwartete und für die damalige Zeit moderne Lösung für die entstehende Zivilgesellschaft in der Perspektive eines sich vereinigenden Europas. Es muss betont werden, dass der Vertrag in dieser Hinsicht einen Durchbruch in Europa und in den deutsch-polnischen Beziehungen in der Zeit nach 1989 darstellte. Das Wichtigste für uns war vor allem, dass beide Seiten die Existenz der Bürger jedes dieser Länder in Polen und Deutschland anerkennen, die sich zu ihrer nationalen Identität bekennen. Von besonderer Bedeutung für die polnische Gemeinschaft in Deutschland sind die Minderheitenartikel des Vertrags (§§ 20 - 22) und damit zusammenhängende Auszüge aus den Briefen, die von den Außenministern beider Länder am Tag der Unterzeichnung des Vertrags erwähnt wurden. Ich möchte Sie daran erinnern, dass sich aus diesen Vertragsbestimmungen der Umfang und der identische Zweck des Schutzes für die als deutsche Minderheit bezeichnete Gruppe in Polen wie auch für die polnische Volksgruppe in Deutschland ergibt. In Artikel 20 Absatz 2 wird auch betont, dass sowohl Polen als auch Deutschland "ihre Rechte und Pflichten im Einklang mit den internationalen Standards in Bezug auf Minderheiten erfüllen". Ich möchte Sie auch daran erinnern, dass sich der Schutzumfang an dem Teil des Kopenhagener KSZE-Dokuments von 1990 orientiert, der eindeutig nationale Minderheiten betrifft.Die Fortsetzung der Tätigkeit der Polnischen Verbände in Deutschland "Rodło" und "Zgoda" sowie die Schaffung der Vereinheitlichung der Konvention der Polnischen Organisationen in Deutschland im Jahre 1992 schufen die Möglichkeit für viele polnische Organisationen, gemeinsam zu handeln und sich zum Wohle der ihnen durch den Vertrag von 1991 garantierten Rechte zusammenzuschließen. Dr. Sebastian Nagel beschreibt in seiner Studie "Zwischen zwei Welten" die Anzahl und Einteilung der Organisationen genau. In ihren bescheidenen Verhältnissen pflegen die polnischen Gemeinschaftsorganisationen vor allem die polnische Tradition und Kultur, unterrichten die polnische Sprache, leisten Sozialhilfe, bewahren das historische Gedächtnis und fördern die Integration der polnischen Volksgruppe in Deutschland.Die organisierte Polonia bietet die Zusammenarbeit mit allen neu gegründeten polnischen Organisationen und mit denjenigen Vereinigungen an, die sich heute aus freien Stücken außerhalb der Dachstrukturen befinden und ihre Mission individuell erfüllen. Trotz vieler unterschiedlicher Meinungen und individueller Befindlichkeiten haben wir ein gemeinsames Ziel, das uns eint und uns erlaubt, wie heute mit einer Stimme zu sprechen, die für die gesamte polnische Gemeinschaft und die in Deutschland lebenden Polen verantwortlich ist. Meiner Meinung nach ist die Behauptung, dass wir im Konflikt miteinander stehen, politisch erfunden. Wir streiten so viel, wie Politiker in Deutschland. Ich möchte betonen, dass die polnische Gemeinschaft trotz verständlicher Unterschiede immer eine gemeinsam erarbeitete Position zu den wichtigen Fragen vertritt!

Der Runde Tisch und die darauf folgenden Jahrestage des Vertrags
warteten lange und unglaublich geduldig auf die vollständige und symmetrische Umsetzung des deutsch-polnischen Vertrags. Fasse ich die Erwartungen der polnischen Gemeinschaft unter dem Aspekt der Arbeit des "Runden Tisches" während zweier Runden (20. und 25.) Jahrestag des deutsch-polnischen Vertrages zusammen, stelle ich fest, dass diese Erwartungen eigentlich auf ein Wort reduziert sind: Symmetrie für die Realisierung des Vertrages, insbesondere in §§ 20-22.Vertreter der polnischen Gemeinschaft für die erste Sitzung des "Runden Tisches" legten eine Liste von 10 Postulaten vor. Wie ich bereits erwähnt habe, gab es viele Vorbehalte hinsichtlich der Asymmetrie im Umgang der polnischen Regierung mit der deutschen Minderheit in Polen und der Bundesregierung mit der polnischen Gemeinschaft in Deutschland, obwohl der Vertrag beider Gruppen vergleichbare Rechte garantiert. Am 12. Juni 2011 wurde eine Vereinbarung unterzeichnet, in der u.a. davon ausgegangen wurde, dass das Polnische Haus in Bochum das Dokumentationszentrum der Polnischen Gemeinschaft, das Polnische Gemeindebüro und das Portal "Polonia Viva" in Berlin einrichten wird. Es wurde auch vereinbart, eine Strategie für den Unterricht der polnischen Sprache zu entwickeln. Man wollte auch nach Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung polnischer Organisationen und der Erleichterung des Zugangs zu den Medien in Deutschland zu suchen.Der Evaluation der Umsetzung der Vereinbarungen des ersten "Runden Tisches" von 2011 war der I und der II Kongress Polnischer Organisationen gewidmet. Die Teilnehmer postulierten die Schaffung eines Fonds für Medienprojekte der polnischen Gemeinschaft, ähnlich dem bestehenden Fonds für Kulturprojekte.Während der letzten Plenarsitzung des "Runden Tisches" am 26. Februar 2015 in Warschau zur Unterstützung von deutschen Staatsbürgern polnischer Herkunft und Polen in Deutschland sowie der deutschen Minderheit in Polen fassten Vertreter beider Regierungen und Sozialpartner die Umsetzung der Verpflichtungen zusammen, die in der am 12. Juni 2011 unterzeichneten Gemeinsamen Erklärung enthalten sind.Die Ergebnisse des "Runden Tisches" sind bisher positiv bewertet worden. Wichtig für uns ist die Tätigkeit des Zentrums zur Dokumentation der polnischen Kultur und Geschichte in Deutschland "Porta Polonica", das einen multimedialen "Atlas der Gedenkstätten" erstellt hat. Darüber hinaus koordiniert das Biuro der Polonia in Berlin Kulturprojekte und die zweisprachige Website "Polonia Viva". Es stellt polnische Veranstaltungen vor, die für die polnische und deutsche Gemeinde in Deutschland wichtig sind. Auch die Ernennung von Bevollmächtigten für die Zusammenarbeit mit deutschen Staatsangehörigen polnischer Herkunft und Polen in Deutschland in allen Bundesländern ist zu begrüßen. Es ist gut, das weiterhin Projekte zur polnischen Kultur in Deutschland unterstützt werden. Wir hoffnung auf zusätzliche Mittel für die polnische Medien in Deutschland.

Sichtbare oder unsichtbare Polonia in Deutschland - die Auszeichnung "Polonicus" in Aachen
Peter Oliver Loew in seiner Studie "Wir Unsichtbaren...". (Wir Unsichtbaren: Geschichte der Polen in Deutschland), beschrieb die Geschichte dieser unsichtbaren Minderheit vom frühen Mittelalter bis heute. Seit Jahrhunderten leben und arbeiten Polen in Deutschland, schätzen ihre Herkunft und respektieren ihren Wohnort. Unsere Ärzte, Ingenieure, Krankenschwestern, Handwerker, Künstler und viele andere deutsche Bürger polnischer Herkunft werden in ihrem Umfeld sehr respektiert. Die Geschichte der Polen in Deutschland stellt das Projekt "Porta Polonica" von Dr. Jacek Barski aktualisiert vor. In Deutschland gibt es viele kulturelle Zentren der polnischen Gemeinschaft, die vom Projektträger professionell und einfühlsam dokumentiert werden. Einzelheiten zum Projekt sind unterwww.porta-polonica.de/plzu finden. Die polnische Gemeinschaft in Deutschland organisiert zahlreiche Konferenzen, Monitore, Kongresse, Symposien, Festivals, Konzerte, Ausstellungen und feierliche Galaveranstaltungen. Auf diese Weise präsentiert die polnische Gemeinschaft ihre Kultur und ihr Engagement für einen kontinuierlichen Dialog in ihrem Aufenthaltsland. Die wichtigsten kulturellen Zentren der polnischen Gemeinschaft befinden sich u.a. in Berlin, Hannover, Hamburg, Köln, Aachen, Düsseldorf, Frankfurt, Darmstadt und München. In all diesen Städten lädt die deutsch-polnische Gemeinschaft ein breites Publikum zu einem gemeinsamen Dialog ein, indem sie ihre Kultur vorstellt. Unser zweisprachiges Portal www.polonia-viva.de berichtet über verschiedene polnische Veranstaltungen im Kalender sowie über die Berichte aus der polnischen GemeinschaftEin äußerst wichtiges kulturelles Ereignis ist die jährliche Polonia-Gala in Verbindung mit der Verleihung des europäischen Preises "Polonicus" in Aachen. Bislang hat die polnische Gemeinschaft 28 herausragende Persönlichkeiten des politischen, sozialen und kulturellen Lebens aus Polen und Deutschland ausgezeichnet. Zu den bisherigen Preisträgern des "Polonicus" gehörten herausragende Politiker - Prof. Gesine Schwan, Ministerin Claudia Pieper (MdB), Dr. Angelica Schwall-Düren (NRW), Minister Thorsten Klute (NRW), Vertreter der Kirche - Prof. Alfons Nossol, Erzbischof der Diözese Oppeln und Rektor der Polnischen Katholischen Mission in Deutschland Rev. Piotr Małoszewski, Linguisten - Prof. Władysław Miodunka von der Jagiellonen-Universität und Prof. Jan Miodek von der Universität Breslau, Wirtschaftswissenschaftler Prof. Leszek Balcerowicz von der Warschauer Hochschule für Wirtschaft, literarischer Übersetzer Prof. Karl Dedecius vom Polnischen Institut in Darmstadt, Filmemacher - Krystyna Janda und Andrzej Wajda und Chefredakteur des Basil-Kerski-Dialogs. Weitere wichtige Kulturzentren für die Jury des "Polonicus" waren die Kultstätte "Gdańsk" in Oberhausen, "Polonica" mit ihrem ChansonFestival in Köln, der Bund der Polen in Deutschland oder "Stowrzyszenie Wspólnota Polska" in Warschau und die weltweit ausgestrahlte "Telewizja Polonia".Viele tausend Teilnehmer begleiteten die Preisverleihung im Krönungssaal des Aachener Rathauses und Millionen von Zuschauern verfolgten über Polonia und Pepe TV das europäische Projekt der deutschen Polonia. Die Idee des "Polonicus"-Preises inspiriert die polnische Gemeinschaft, sich weiterhin intensiv für das Wohl ihres Wohnsitzlandes und die Einigung Europas einzusetzen. Die Polonia ist also nicht unsichtbar, sondern präsentiert offen ihre eigene Kultur und ihr Engagement für einen kontinuierlichen Dialog in ihrem Aufenthaltsland.Die heutige Reflexion über die polnische Gemeinschaft wird durch eine Paraphrase der Erklärung von Prof. Norman Davies während der Preisverleihung des "Polonicus 2011" zusammengefasst, die mit folgendem Satz zitiert wird: "Die Polen sollten stolz auf ihr Wohnsitzland und die Deutschen stolz auf ihre Bürger polnischer Herkunft sein".

Foto: Darius Mainka

Wiesław Lewicki
Europäisches Institut für Kultur und Medien POLONICUS VoGKonvention der polnischen Organisationen in Deutschland EWIV