Spuren einer anderen Landschaft

Es gibt immer mehr deutsche Inschriften aus der Vorkriegszeit

Im ehemaligen preußischen Schlesien leben noch Menschen, die sich an eine Realität erinnern, die man sich heute nur schwer vorstellen kann. Alle Bahnhöfe hatten nur deutsche Ortsschilder. Werkstätten, Geschäfte und Restaurants trugen nur deutsche Namen. Heute kann man diese Aufschriften wieder an vielen Häusern sehen.

Deutsche inschriften schlesien

Polnische Beschriftungen im öffentlichen Raum gab es vor dem Zweiten Weltkrieg natürlich auch, aber sie waren eher eine Randerscheinung. Über Jahrhunderte hinweg prägten dagegen deutsche Inschriften, Schilder und Wegweiser das Bild der oberschlesischen Landschaft. Man muss sich vor Augen halten, dass auch fast alle Zeitungen auf Deutsch erschienen und das Radio nur in dieser Sprache empfangen werden konnte. Die Einheimischen wuchsen in dieser deutschen Realität auf und sie war für sie selbstverständlich.

Im Winter 1945 änderte sich quasi über Nacht alles. Die deutsche Sprache im öffentlichen Raum wurde unter Androhung brutalster Schikanen verboten. Und die neuen kommunistischen Machthaber begannen mit der Aktion zur Beseitigung aller Spuren des Deutschseins. Alle Ladenschilder wurden abgerissen, übermalt oder verputzt. Spezielle Kommissionen gingen von Haus zu Haus und zerstörten Küchengeschirr und alle anderen Gebrauchsgegenstände mit deutschen Aufschriften. Diese Aktion machte auch vor Friedhöfen nicht Halt, wo systematisch alle deutschen Akzente von privaten Grabsteinen entfernt wurden. Für viele Menschen war dies eine große Tragödie, da sie den Raum verloren, in dem sie aufgewachsen waren und bisher gelebt hatten. Gemäß der Anordnung der Behörden musste alles, was an die deutsche Vergangenheit erinnerte, ausgelöscht werden.

Aber wie so oft empfanden viele Menschen diese Maßnahmen als ungerechtfertigte Schikane. Die Inschriften wurden schlampig verputzt, nur um sie zu verdecken und Schikanen durch die neue kommunistische Macht zu vermeiden. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte stellte sich heraus, dass die ursprünglichen deutschen Inschriften an vielen Stellen viel haltbarer waren als ihre Abdeckung. Unter dem abblätternden Putz kamen sie immer häufiger zum Vorschein. Heute stören sie kaum noch jemanden, weshalb es immer mehr davon gibt.

Die Geschichte hat eine seltsame Wendung genommen. So wie früher Kommissionen unterwegs waren, um alle Spuren des Deutschen zu beseitigen, gibt es heute immer mehr Menschen, die solche Inschriften suchen und sorgfältig restaurieren. In fast jeder größeren Stadt entstehen Initiativen, die sich engagiert für die Erhaltung deutscher Inschriften einsetzen.

In Breslau ist die Aktion „Spod tynku patrzy Breslau“ (Breslau blickt unter dem Putz hervor) am bekanntesten. Ihre Aktivisten beschäftigen sich mit der Dokumentation und Rettung deutscher Inschriften. An der Initiative sind vor allem der Blogger Maciej Wlazło und Grzegorz Czekański beteiligt. Sie ermutigen ihre Freunde, die in der ganzen Stadt verstreuten deutschen Inschriften zu katalogisieren. Ihre Bemühungen haben zur Erstellung einer Karte geführt, die bei der Besichtigung von Breslau verwendet werden kann.

Diese Initiativen beschränken sich nicht nur auf Breslau. Die Mitarbeiter des Museums der Lubuser Land in Grünberg, Izabela Korniluk und Grzegorz Wanatko, engagieren sich ebenfalls für die Rettung deutscher Inschriften. Sie suchen in der Stadt nach alten Inschriften, Werbeschildern und Ladenschildern, um sie dann mühsam zu entziffern und zu dokumentieren. Anhand alter Adressbücher konnten sie beispielsweise die Inschrift „Malermeister“ dem Handwerker Heinrich Seidel zuordnen. In dem Gebäude an der Chrobrego-Straße befand sich einst die Brennerei Raetsch. Dort wurde das restaurierte Werbeschild „Cognac Raetsch“ angebracht. Auch am heutigen Sozialamt an der Langestraße wurde die historische Inschrift der ehemaligen Schule restauriert.

Initiativen zur Rettung alter deutscher Inschriften gibt es auch in Oberschlesien. Hier wurde sogar eine Internetplattform namens „Vergessenes Erbe / Vergessene Inschriften“ ins Leben gerufen. Sie wird vom Haus der deutsch-polnischen Zusammenarbeit betrieben und von Dawid Smolorz initiiert. Er bemüht sich, alte deutsche Inschriften aufzuspüren, zu dokumentieren und so zu retten.

Dawid Smolorz wuchs in Hindenburg und Gleiwitz auf. Bereits als Teenager stieß er in den 1980er Jahren auf deutsche Inschriften an alten Gebäuden. Er erinnert sich: "Der polnische Staat hatte damals schon Schwierigkeiten, die optischen Relikte der deutschen Vergangenheit zu bekämpfen. Auf dem Weg zur Schule kam ich beispielsweise an Inschriften wie „Löschwasserstelle 50 Meter“ vorbei. Schon damals weckten diese Inschriften seine Interesse für die Geschichte der Region."

Mit großem Engagement dokumentiert der Berliner Fotograf Thomas Voßbeck deutsche Inschriften in Oberschlesien. Vor Jahren lernte er Dawid Smolorz kennen, der sein Interesse für die Geschichte der Region weckte. Voßbeck hatte zuvor keine Ahnung, dass nach 1945 noch Deutsche in Oberschlesien geblieben waren und dass es in der Region so viele Spuren der deutschen Vergangenheit gibt. Er wuchs in der DDR auf, wo die deutschen Ostprovinzen ein Tabuthema waren. Heute dokumentieren sie gemeinsam die preußischen Überreste.

Smolorz erkannte die Regel, dass „je schlechter der Zustand einer Stadt ist, desto größer die Wahrscheinlichkeit ist, dass unter dem alten Putz Spuren der Vergangenheit zum Vorschein kommen“. Daher dokumentiert er gerne in Waldenburg. Gemeinsam mit Voßbeck entdeckten sie dort beispielsweise das Schild der ehemaligen Bäckerei von Max Griegers. Die Bäckerei befand sich im Stadtteil Dittrichsbach, der sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts von einem Bauern- und Weberdorf zu einem Industriestandort gewandelt hatte. Ihr Schild ist ein gutes Beispiel für eine nachlässige Entdeutschungspolitik. Obwohl einzelne Buchstaben entfernt wurden, ist der Text weitgehend lesbar geblieben.

In Oberschlesien, in der Nähe von Oppeln, sind Relikte der deutschen Vergangenheit besonders leicht zu finden. Auf vielen Dächern von Häusern oder Scheunen sind noch Inschriften wie „Gott mit uns“ zu lesen. Smolorz führt dies darauf zurück, dass hier eine autochthone Bevölkerung lebt, die diese Inschriften nach Möglichkeit geschützt hat.

Smolorz und Voßbeck dokumentieren auch kürzlich restaurierte Gebäude, an denen deutsche Inschriften wiederhergestellt wurden. In der Dworcowa-Straße in Hindenburg wurde ein vor dem Krieg bestehendes Ladenschild restauriert, das nun wieder in altem Glanz erstrahlt. Bei der Renovierung eines Wohnhauses in der Nähe des Bahnhofs wurde eine ganze Reihe von Inschriften entdeckt und freigelegt. Dieser Prozess der Restaurierung und öffentlichen Präsentation deutscher Inschriften ist an sich schon ein bemerkenswerter Vorgang.

Eine Rückkehr zur allgemeinen Präsenz deutscher Inschriften im öffentlichen Raum wird es wohl nie wieder geben. Es gibt auch nur noch sehr wenige Menschen, die die deutsche Kulturlandschaft in Oberschlesien persönlich erlebt haben. Aber ihre Kinder stellen sich oft Fragen zu ihrer eigenen Identität und ihren kulturellen Wurzeln.

Die ehemaligen preußischen Inschriften sind ein Mosaiksteinchen in der neuen regionalen Identität. Paradoxerweise empfinden die Polen, die nach 1945 nach Schlesien kamen, viel Sympathie und Interesse für sie und sehen mit der Zeit auch die deutschen Traditionen als Teil ihrer eigenen Identität.

Die deutschen Inschriften trennen die heutigen Bewohner Schlesiens nicht mehr, sondern integrieren sie sogar.

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Chris Wagner