16.12.2025

Politik aus einer Hand

Berndt Fabritius über ein neues Modell der Förderung der deutschen Minderheit

Die Entscheidung der Bundesregierung, die Finanzierung der Vertriebenenorganisationen sowie der deutschen Minderheiten im Ausland dem Bundesinnenministerium zu übertragen, eröffnet ein neues Kapitel der deutschen Erinnerungs- und Minderheitenpolitik. Der neue Ansatz soll den Schutz des deutschen kulturellen Erbes stärken, die Verständigungspolitik festigen und die Rolle der Minderheiten ausbauen. Im Gespräch mit Spectrum Direct spricht Prof. Dr. Berndt Fabritius über Prioritäten, Herausforderungen und die Zukunft der deutschen Gemeinschaft in Schlesien.

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Sebastian Fikus: Mit der Entscheidung der Bundesregierung, die Zuständigkeit für die Unterstützung sowohl der Vertriebenenverbände als auch der deutschen Minderheiten im Ausland dem Bundesinnenministerium zuzuordnen, wurde eine wichtige Weichenstellung vorgenommen. Welche Überlegungen standen hinter dieser Entscheidung? Und welche neuen Möglichkeiten ergeben sich dadurch für Ihre Arbeit?

Prof. Dr. Berndt Fabritius: Mit der Bündelung der Zuständigkeiten für die Unterstützung der Vertriebenenverbände und auch der deutschen Minderheiten im Ausland konnte die Fachexpertise, die bislang auf verschiedenen Ressorts verteilt war, nun im BMI zusammengeführt werden. Dies ist ein starkes Signal für die Heimatvertriebenen, Spätaussiedler und Minderheiten und eröffnet die Chance auf eine Politik aus einer Hand.

Mit der Zusammenführung der Zuständigkeiten beabsichtigen wir eine Stärkung des gesamten Aufgabengebietes, beispielsweise um den gesetzlichen Auftrag zur Förderung der kulturellen Arbeit des § 96 BVFG zur Bewahrung und Erforschung von Kultur und Geschichte der deutschen Vertriebenen umfassend und richtungsweisend umzusetzen. Damit geht auch eine Stärkung meines Amtes als Beauftragter für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten einher.

Das kulturelle Erbe des deutschen Ostens ist im öffentlichen Bewusstsein der Bundesbürger nur schwach verankert. Es spielt kaum eine Rolle für das heutige Selbstverständnis der Deutschen. Wie lässt sich dieses Kapitel deutscher Geschichte wieder stärker ins kulturelle Gedächtnis zurückholen - und was kann Politik dazu konkret beitragen?

Die Bundesregierung fördert eine Vielzahl von Einrichtungen zum Thema deutsche Kultur im östlichen Europa. Der historische Bogen reicht vom Mittelalter bis zu Flucht und Vertreibung der Deutschen aus ihren historischen Siedlungsgebieten. Insgesamt 18 Einrichtungen - Museen, Forschungsinstitute, Bibliotheken sowie Einrichtungen der Kulturvermittlung - gehören gemäß Festlegung des Koalitionsvertrages seit 1. November 2025 in den Zuständigkeitsbereich des BMI. Dies ist bereits ein konkreter Beitrag der Politik zur Stärkung von Geschichte und Kultur der Deutschen im östlichen Europa im öffentlichen Bewusstsein: Die Zuständigkeit für die Förderung nach § 96 BVFG (dem Kulturparagraphen des Vertriebenengesetzes), für die Angelegenheiten der Vertriebenen, der Aussiedler sowie der deutschen Minderheiten liegen damit in einer Hand (und nicht mehr wie bislang in drei Häusern - BMI, AA und BKM).

Die 18 Einrichtungen arbeiten auf der Höhe derzeit: alle sind in den Sozialen Medien aktiv, die Museen verfügen über vielfältige Angebote auch speziell für Kinder und Jugendliche, die Forschungsinstitute stehen Studierenden offen. Auch Gedenktage und Jubiläen sind wichtige Gelegenheiten, um auf diesen Teil der deutschen Geschichte aufmerksam zu machen. Im vergangenen Jahr gab es deshalb auch eine Vielzahl von Veranstaltungen zur Erinnerung an den 80. Jahrestag des Endes des 2. Weltkriegs; der 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich oder der 300. Geburtstag von Immanuel Kant waren weitere öffentlichkeitswirksame Jubiläen der letzten beiden Jahre, die eine Vielzahl von Ausstellungen und Veranstaltungen zur Folge hatten .Um aber die Standards - insbesondere in den Museen - zu erreichen und zu halten, bedarf es einer ausreichenden Finanzierung. Angesichts der schwierigen Haushaltslage ist dies eine besondere Herausforderung. Die Bundesregierung hat sich aber im Koalitionsvertrag verpflichtet, „die Bundesförderung nach § 96 BVFG zukunftsfest zu gestalten.“

Die politische Aufmerksamkeit für das Thema, wie sie im Koalitionsvertrag zum Ausdruck gebracht ist, die verwaltungstechnische Bündelung des Themas im BMI, die Sicherung des bestehenden Angebots und der Ausbau - das sind die Grundlagen für eine Stärkung der öffentlichen Wahrnehmung des Themas deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa.

Die eigentliche Vertreibung liegt rund 75 Jahre zurück, und auch die großen Wellen der Spätaussiedler sind abgeebbt. Dennoch bleiben viele Vertriebenenverbände aktiv. Welche ihrer Aktivitäten halten Sie heute für besonders wichtig - und welche würden Sie am liebsten gezielt fördern?

Das BMI unterstützt verständigungspolitische Maßnahmen der Vertriebenen zur Förderung des friedlichen Miteinanders mit den Völkern Ostmittel-, Ost- und Südosteuropas. Auch achtzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges haben verständigungspolitischen Maßnahmen insbesondere vor dem Hintergrund der angespannten geopolitischen Lage in Europa weiterhin ihre Berechtigung. Allerdings sollten die Maßnahmen zur Förderung des friedlichen Miteinanders stärker zukunftsorientiert und vor allem generationsübergreifend gestaltet werden und sich verstärkt an jüngere Adressaten richten.

Zwischen Schlesien und Bayern, Oppeln und Augsburg - es gibt heute ganze Familien, die zwischen beiden Welten pendeln. Die alten Trennlinien zwischen „Vertriebenen“ und „Minderheit“ lösen sich auf. Diese Menschen sind oft die eigentlichen Brückenbauer zwischen Deutschland und Schlesien. Wie kann Kulturpolitik ihnen gerecht werden - und was kann konkret getan werden, um sie stärker einzubeziehen?

Selbstverständlich sind diese Familien, die „zwischen beiden Welten pendeln“, wichtige Brückenbauer zwischen Polen und Deutschland und verbindendes Element zwischen gestern, heute und morgen.

Sowohl in Deutschland als auch in Polen lebende Familien können aber nicht „als Familie“ gefördert werden. Ich kann daher empfehlen, sich zu engagieren und zu organisieren in Vereinigungen oder Einrichtungen der Vertriebenen oder der deutschen Minderheit.

Seit einigen Jahren hat sich die Praxis etabliert, Projekte für die deutsche Minderheit in Schlesien in enger Abstimmung mit den Verbänden vor Ort umzusetzen. Welche Rolle wird der Verband der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Oppeln künftig bei der Vergabe und Steuerung solcher Projekte spielen?

Es ist zutreffend, dass die Projekte für die deutsche Minderheit in ganz Polen in enger Abstimmung mit den Verbänden vor Ort umgesetzt werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass die konkreten Anliegen mit den vorhandenen finanziellen Möglichkeiten erfüllt und sodann auch von den Angehörigen der deutschen Minderheit akzeptiert und engagiert umgesetzt werden.

Der Verband der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Oppeln ist lediglich eine Organisation innerhalb der Dachorganisation der Deutschen Minderheit in Polen, der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG). Es obliegt der Organisationshoheit des VdG, welche Bedeutung einzelnen Organisationen bei der Vergabe und Steuerung von Projekten zukommt.

Wenn Sie auf die kulturelle Förderung blicken - geht es heute stärker um den Erhalt von Sprache und Tradition, oder eher um die Suche nach neuer Identität in einer sich wandelnden Gemeinschaft?

Identität bedeutet Bewusstsein darüber, wer ich bin. Und wer ich bin, hängt entscheidend von den Erfahrungen, den Prägungen durch Kindheit und Jugend, dem Wissen und den Beziehungen ab.

Deshalb baut der Erhalt von Sprache und Tradition und die Suche nach neuer Identität in einer sich wandelnden Gemeinschaft aufeinander auf. Nur wenn man sich seiner Sprache und Tradition sicher ist, kann man diese in einer sich wandelnden Gemeinschaft fortentwickeln.

Oft heißt es, die Zukunft liege bei der Jugend und in der Sprachförderung. Doch in der deutschen Minderheit engagieren sich heute vor allem Menschen der Generation 50+, die das Fundament des Vereinslebens bilden. Besteht nicht die Gefahr, dass diese Gruppe bei der Konzentration auf Sprache und Jugend übersehen wird - und wie kann man sie gezielt stärker unterstützen?

Selbstverständlich geht es bei der Förderung der deutschen Minderheit in Polen um die ausgewogene Förderung aller Altersgruppen - mit dem Fokus auf der zukunftsgerichteten Förderung der Jugend. Darauf lege ich großen Wert!

Eine solche ausgewogene Förderung lässt sich jedoch nicht erzwingen, sondern hängt sehr stark von den Gegebenheiten vor Ort ab. Deshalb ist hier die Dachorganisation der deutschen Minderheit in Polen (VdG) in der Verantwortung durch geeignete Projekte alle Altersgruppen zu beteiligen und diese auch auf den jeweiligen Erfolg zu überprüfen.

Im Übrigen ist die Förderung der Jugend und der älteren Generation kein Gegensatz, sondern ist als gegenseitige Bereicherung zu verstehen. Nur in der Gemeinschaft aller Generationen lässt sich Identität erleben.

In der Vergangenheit war das Auswärtige Amt über seine Vertretungen vor Ort maßgeblich an der Gestaltung des kulturellen Lebens der deutschen Minderheit beteiligt. Welche Rolle werden die Konsulate künftig bei der Förderung kultureller Projekte spielen?

Die Projektmaßnahmen der Bundesregierung zur Förderung der deutschen Minderheiten werden künftig im Bundesministerium des Innern gebündelt. Gleichzeitig bleiben die deutschen Auslandsvertretungen zentrale Ansprechpartner für die deutschen Minderheiten vor

Ort und werden weiterhin Minderheitenbelange auch gegenüber politischen Entscheidungsträgern in den Gastländern vertreten.

Die Bündelung der Zuständigkeiten für die Vertriebenen in Deutschland und die deutschen Minderheiten im Ausland eröffnet neue Synergien. Sehen Sie darin auch eine Chance oder gar eine Notwendigkeit für eine engere operative Zusammenarbeit zwischen den Vertriebenenverbänden und der deutschen Minderheit in Schlesien?

Das BMI stellt für Maßnahmen der Vertriebenen zur Förderung des friedlichen Miteinanders mit den Völkern Ostmittel-, Ost- und Südosteuropas - sogenannte verständigungspolitische Maßnahmen - finanzielle Mittel zur Verfügung. Die Projektförderung hat zum Ziel, die Fortsetzung und Intensivierung der verständigungspolitischen Arbeit von Vereinigungen und Einrichtungen der Vertriebenen sowie mit diesen kooperierenden Trägern zu ermöglichen. Zugleich soll im Ausland um Verständnis für das Schicksal und die Arbeit der Vertriebenen sowie der dort lebenden deutschen Minderheiten geworben werden. Die Förderung dient der Unterstützung der Vertriebenenverbände als Brückenbauerzwischen Deutschland und seinen mittel- und osteuropäischen Nachbarn sowie deren gemeinsamer Arbeit für ein einheitliches und friedliches Europa. Zur Zielgruppe der Fördermaßnahmen zählen vor allem Multiplikatoren aus Deutschland und den Staaten Ostmittel-, Ost- und Südosteuropas (z.B. Dozenten, Lehrer, Studenten), Schüler, Vertriebene, Zeitzeugen, sowie heute in den Vertreibungsgebieten Lebende (Mehrheitsbevölkerung und deutsche Minderheit), Kommunal- und Verbandsvertreter, Journalisten. Die Veranstaltungen sollen sich an ein vielschichtiges und breites Publikum wenden, um dadurch einen Lern- sowie Multiplikatoren-Effekt zu erzielen. Es ist wünschenswert, dass sich die Teilnehmergruppen geförderter Veranstaltungen, wie Seminare, Konferenzen oder Exkursionen, generationenübergreifend zusammensetzen und die Erfahrungen der Zeitzeugen an die sog. Enkelgeneration weitergegeben werden können.

Die Ausgestaltung und Intensität der Zusammenarbeit zwischen Vertriebenenverbänden und der deutschen Minderheit obliegt den jeweiligen Organisationen, die ich selbstverständlich in diesem Kontext sehr gerne unterstütze.

Sie können heute Impulse setzen, die die kommenden Jahre prägen werden. Wenn Sie an die deutsche Minderheit in Schlesien denken - welches Bild haben Sie vor Augen? Wie sollte ihre Situation in zehn Jahren idealerweise aussehen, wenn sich Ihre Vorstellungen verwirklichen?

Die Angehörigen der deutschen Minderheit in Polen sind zweifelsfrei auf dem richtigen Weg: Sie sind als vollwertige Bürger in Polen anerkannt, nehmen ihre Brückenbauerfunktion zwischen Polen und Deutschland sehr ernst und investieren viel Zeit und Energie in die Jugend- und Spracharbeit.

Einige Angehörige der deutschen Minderheit in Polen haben zudem Ämter in kommunalen Gremien inne und die Professionalisierung der Arbeit vor Ort bis hin zur Arbeit auf politischer Ebene hat ein sehr hohes Niveau erreicht. Deshalb sehe ich die deutsche Minderheit in Polen grundsolide aufgestellt, sich produktiv für die Sache der Minderheit einzusetzen und auch Minderheits- und Mehrheitsbevölkerung zusammenzubringen.

Ob einige dieser herausgehobenen Aspekte weiter intensiviert werden können, wird die Zukunft zeigen. Den Weg dorthin werde ich nach Kräften unterstützen.

Herr Prof. Fabritius, ich bedanke mich für das Gespräch.

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