Die Autoren der Ausstellung „Unsere Jungs“ im Stadtmuseum Danzig wurden beschuldigt, die Verbrechen der Nationalsozialisten zu relativieren und den „Landesverrat“ zu verherrlichen. Die Ausstellung widmet sich der Präsenz der Autochthonen in der Wehrmacht. Sie wurden unter direkter Androhung der Todesstrafe und von KZ-Haft für ihre Familien in die deutsche Armee eingezogen. Genau dasselbe Problem gab es in Oberschlesien.
Die Haltung der autochthonen Oberschlesier zum Wehrdienst war höchst unterschiedlich. Es gab zweifellos naive, patriotische Haltungen, die durch wirksame NS-Propaganda hervorgerufen wurden. Manche meldeten sich sogar freiwillig zur deutschen Armee. Die Mehrheit jedoch stand dem Dienst mit offener Abneigung gegenüber und betrachtete ihn als ein Unglück, dem man sich nicht entziehen konnte.
Wer kennt sie nicht, die Nachkriegsgeschichten von Autochthonen in Wehrmachtsuniformen, die auf Bahnhöfen laut weinten, während sie von ihren Frauen und Müttern verabschiedet wurden? Für viele war es ein Abschied für immer.
Für die Bewohner des preußischen Teils von Oberschlesien gab es keinen Zweifel: Alle unterlagen der Wehrpflicht. Es spielte keine Rolle, ob sich jemand als Pole fühlte oder sogar aktives Mitglied polnischer Organisationen war.
Daher gab es auch eine bedeutende Gruppe von Oberschlesiern, die den Dienst in der Wehrmacht aus politischen oder nationalen Gründen als Schande empfanden. Manche entschieden sich für Sabotage oder Desertion.
Der südöstliche Teil Oberschlesiens war in der Zwischenkriegszeit die polnische Woiwodschaft Schlesien mit der Hauptstadt Kattowitz. 1939 wurde sie in das Reich eingegliedert. Nicht alle ihre Bewohner wurden automatisch als deutsche Staatsbürger anerkannt.
Hier führte man das System der Deutschen Volksliste ein, das den Grad der „Deutschtum“ der Autochthonen klassifizierte. Jeder polnische Staatsbürger in der Region musste einen Fragebogen über seine nationale Orientierung ausfüllen. Auf dieser Grundlage entschieden die NS-Behörden eigenmächtig, wem die deutsche Staatsangehörigkeit zuerkannt wurde.
Wer durch Verwaltungsakt als Deutscher oder als „potenzieller Deutscher“ eingestuft wurde, erhielt die Staatsbürgerschaft des Dritten Reiches. Mit dieser Entscheidung ging die Wehrpflicht einher – ohne Möglichkeit der Berufung.
Es gab sogar ein groteskes System der „Nostrifizierung“ polnischer militärischer Dienstgrade: Wer im polnischen Heer den Rang eines Feldwebels hatte, bekam diesen automatisch auch in der Wehrmacht.
Kein Protest, kein öffentliches Bekenntnis zur polnischen Identität befreite von der Dienstpflicht. Es sind zahlreiche Fälle bekannt, in denen Rekruten gemeinsam mit ihren Familien auf den Bahnhöfen die polnische Nationalhymne oder das Kirchenlied „Boże, coś Polskę“ sangen. Daraufhin verboten die deutschen Behörden den Familien später, ihre Söhne und Brüder zum Bahnhof zu begleiten, von wo aus sie an die Front geschickt wurden.
Die Verweigerung des Wehrdienstes war gleichbedeutend mit der Todesstrafe. Sie endete unmittelbar unter dem Fallbeil in Kattowitz, auf dem die Widerständigen hingerichtet wurden. In diesem Sinne waren die zum Wehrdienst eingezogenen Autochthonen Opfer des nationalsozialistischen Systems – und nicht vermeintliche Verräter, wie manche es heute darstellen möchten.
Es bleibt die Frage, wie sich die zwangsrekrutierten Oberschlesier und Kaschuben in der deutschen Armee verhielten. Viele schämten sich zunächst ihrer Situation und versuchten, sich vor ihren Kameraden für ihre Anwesenheit in der Wehrmacht zu rechtfertigen.
Dokumentiert ist die Geschichte des Oberschlesiers Bolesław Haidasz, der 1942 gegen seinen Willen in die deutsche Volksliste (Kategorie 3) eingetragen wurde. 1944 schrieb er einem Freund aus Warschau, zu dem er lange keinen Kontakt mehr gehabt hatte, einen Brief. Darin versuchte er, seine Lage zu erklären:
„[…] ich bleibe immer derselbe Bolek, den du von früher kennst. Unser Leben gehört nicht uns selbst, deshalb ist es besser, die uns auferlegten Aufgaben zu erfüllen, als von fremder Hand zu sterben.“
Der Brief wurde von der Feldgendarmerie abgefangen, und Haidasz vor Gericht gestellt. Das höchste Wehrmachtsgericht urteilte am 15. September 1944:
„Wer die feindliche Widerstandsbewegung unterstützt, dient dem Feind und schadet dem eigenen Staat. Deshalb muss er zum Tode verurteilt werden.“
In dem Brief fanden sich keinerlei Hinweise auf Kontakte Haidasz’ oder seines Freundes zur polnischen Widerstandsbewegung. Doch schon der bloße Kontakt mit einem Polen war für die Wehrmachtsrichter Grund genug, Bolesław Haidasz zum Tode zu verurteilen. Das Urteil wurde vollstreckt.
Andere Soldaten deutscher Uniform, die autochthoner Herkunft waren, versuchten hingegen, ihre moralische Haltung zu bewahren und Verfolgten des Regimes so weit wie möglich zu helfen. Dokumentiert ist die Geschichte von Feldwebel Erich Heym, der aus Ermland stammte. Die Wehrmacht stellte ihn als Wachposten im Offizierslager Oflag II D Gross-Born – Westfalenhof in Kłomino ein.
Dort waren unter anderem der Verteidiger von Westerplatte, Major Henryk Sucharski, der Schriftsteller Leon Kruczkowski und der damals noch Oberstleutnant Stanisław Mossor interniert. Heym freundete sich mit den polnischen Offizieren an. Sie baten ihn schließlich, ihnen den Briefverkehr mit ihren Familien und Freunden unter Umgehung der Lagerzensur zu ermöglichen.
Heym wusste genau, dass ein solches Handeln streng verboten war, und dass er damit sein Leben riskierte. Dennoch willigte er ein, und der heimliche Briefwechsel der polnischen Offiziere funktionierte von da an regelmäßig. Heym führte zudem zahlreiche Gespräche mit ihnen, informierte sie über die Lage im Land und an der Front. Er berichtete ihnen etwa detailliert vom Warschauer Aufstand und von den alliierten Waffenabwürfen für die Kämpfer in der Hauptstadt. Mit Bedauern erzählte er auch vom gescheiterten Attentat auf Hitler in Rastenburg.
Mit der Zeit nahm die Freundschaft einen zunehmend konspirativen Charakter an. Die im Lager inhaftierten Offiziere beschlossen eine kollektive Flucht und baten Erich Heym erneut um Hilfe. Der deutsche Wachposten organisierte für die polnischen Offiziere Waffen und Karten, mit deren Hilfe sie in das Gebiet des Generalgouvernements gelangen wollten.
Heym sammelte zudem Informationen über Partisanengruppen in den Tucheler Heidewäldern, denen sich die polnischen Offiziere nach ihrer Flucht anschließen wollten. Doch der für den 19. September 1944 geplante Ausbruch fand nicht statt: Dem Gestapo gelang es, Spitzel in die Lagergemeinschaft einzuschleusen. Diese verrieten nicht nur den Fluchtplan, sondern auch die Kontakte von Feldwebel Heym zu den polnischen Offizieren.
Am 1. Februar 1945 wurde Erich Heym wegen Zusammenarbeit mit den polnischen Gefangenen zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde vollstreckt.
Dasselbe Schicksal ereilte den Offizier Hauptmann Karl Ludwig Ulsamer aus Oppeln. Er diente in der militärischen Einheit Oppeln-Birkenthal (6./Luftgau-Nachr.Abt.8) mit Standort in Wien. Ulsamer war Jurist und hatte vor dem Krieg in mehreren Banken in leitenden Positionen gearbeitet. Nach Kriegsbeginn absolvierte er einen Offizierskurs der Luftwaffe.
Er hatte nur einen Sohn, Edgar, der Medizin studierte. Dieser wurde jedoch zur Wehrmacht eingezogen. Am 7. Januar 1944 geriet Edgar Ulsamer in der Nähe von San Vittorio in Italien in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Nach kurzer Zeit boten ihm die US-Behörden die Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Nachrichtendienst an. Tief erschüttert von den Verbrechen des NS-Regimes, nahm der junge Mann das Angebot an.
Am 13. Oktober 1944 wurde er zusammen mit einem amerikanischen Verbindungsoffizier per Fallschirm nach Österreich abgesetzt. Die Operation misslang, und Edgar musste auf eigene Faust hinter die amerikanischen Linien zurückkehren. Er nahm Kontakt zu seinem Vater auf und bat ihn um Hilfe.
Der Vater versuchte ihn mit allen Mitteln zu überzeugen, sich bei der Polizei zu melden. Karl Ludwig Ulsamer war sich bewusst, dass dies die einzige Chance war, das Leben seines Sohnes – und sein eigenes – zu retten. Doch Edgar weigerte sich unter allen Umständen, zur Wehrmacht zurückzukehren.
Während der Vorbereitungen zur Flucht wurden beide enttarnt und am 11. März 1945 zum Tode verurteilt. Die Urteile wurden vollstreckt.
Viele andere Autochthone in deutscher Uniform halfen verfolgten Juden, Kriegsgefangenen oder Menschen, die vom NS-Regime unterdrückt wurden. Sehr viele von ihnen wurden später aufgrund von Urteilen deutscher Kriegsgerichte hingerichtet.
Tausende von Autochthonen desertierten aus der Wehrmacht. Die Entscheidung zur Fahnenflucht war alles andere als leicht. Die Soldaten, die sich zur Flucht entschlossen, hatten weder Geld, noch Zivilkleidung oder gültige Papiere. Straßen, Bahnhöfe und andere neuralgische Verkehrspunkte wurden von der Feldgendarmerie streng überwacht.
Auch die Flucht über die Frontlinien war gefährlich – die andere Seite konnte die Deserteure leicht für Saboteure halten. Viele von ihnen kamen bei dem Versuch, die Front zu überqueren, ums Leben.
Die Wehrmacht selbst bediente sich des zynischen Mottos, dass ein Soldat zwar an der Front sterben könne, ein deutscher Deserteur jedoch durch Urteil eines Kriegsgerichts sterben müsse. Und tatsächlich fällte die deutsche Militärjustiz Zehntausende solcher Todesurteile.
Die Ausstellung in Danzig ist ein wichtiges Ereignis und zweifellos sehenswert. Ihre Autoren haben den Versuch unternommen, das Schicksal der zwangsrekrutierten Autochthonen von der Ostseeküste zu erklären.
Ein Großteil der Ausstellung besteht aus Exponaten von Privatpersonen, deren Großväter in die Wehrmacht eingezogen wurden. Sie ist ein Zeugnis des Leids, das den Autochthonen widerfahren ist – Menschen, die in Polen nach dem Krieg zusätzlich noch als Verräter galten.
Kein Wunder also, dass in den darauffolgenden Jahrzehnten ein erheblicher Teil von ihnen nach Deutschland auswanderte. Der Wehrmachtsdienst war für die Behörden der Bundesrepublik ein eindeutiger Nachweis ihrer deutschen Staatsangehörigkeit.
Viele Familienmitglieder dieser Soldaten verließen Polen ebenfalls – in Deutschland erhielten sie den Status von „Vertriebenen“ und den Vertriebenenausweis.
Die Situation in Oberschlesien war übrigens sehr ähnlich.