26.6.2022
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Die europäische Dimension eines schlesischen Dorfes

In dem aristokratischen Herrenhaus in Kreuzenort entstanden Meisterwerke

Für die heutigen Bewohner Oberschlesiens ist es schwer vorstellbar, dass die adeligen Feudalherren die bedeutendsten Künstler ihrer Zeit hierher einluden. Sie waren ihre Gönner und Freunde und finanzierten ihre künstlerischen Aktivitäten. Dies war auf die besondere Stellung des oberschlesischen Adels zurückzuführen. Ein solcher Herrensitz, von dem künstlerische Impulse in ganz Europa ausgingen, war das Schloss in Kreuzenort. Der derzeitige Bürgermeister der Gemeinde, Grzegorz Utracki, bemüht sich um die Wiederbelebung dieser Tradition.

Kreuzenort
Fot. Natalia Klimaschka

Heute beherbergt der Palast in Kreuzenort ein von Nonnen geführtes Sozialzentrum. Das war jedoch nicht immer so. In dem neugotischen Palast wohnten einst die oberschlesischen Magnaten der Familie Lichnowski. Ihr sagenhafter Reichtum wurde mit den Händen der Autochtonen erwirtschaftet, die in ihren Wäldern und auf ihren Feldern arbeiteten. Sie bauten unter anderem Flachs an und weideten Merinoschafe, deren Wolle sich auf dem russischen Markt gut verkaufen ließ. Mit den erzielten Einnahmen finanzierten ihre Arbeitgeber nicht nur die schönen Anwesen in Grätz oder Kuchelna, sondern auch viele berühmte Persönlichkeiten aus der Welt der Kunst. 

Palast in Kreuzenort

Ihre Liebe zur Kunst hielt über Generationen hinweg an. Schon der zweite Prinz aus der Familie Lichnowsky, Karl Alois, unterstützte Mozart und den jungen Beethoven. Dem ersten gab er ein nicht rückzahlbares Darlehen und begleitete ihn 1789 auf seiner Konzertreise bis nach Berlin. Er war sogar sein Bruder in der Freimaurerhierarchie. Andererseits beherbergte er den zweiten an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert und zahlte ihm sogar für mehrere Jahre ein Dauerstipendium. Es ist bekannt, dass Beethoven Lichnowski als seinen engen Freund und größten Bewunderer seiner Musik bezeichnete. Ihre Freundschaft überlebte jedoch einen bestimmten unangenehmen Vorfall nicht. Denn Prinz Lichnowski drängte Beethoven, vor französischen Offizieren zu spielen. Der Komponist, der für seine Vehemenz bekannt war, kehrte nach Wien zurück und zerstörte eine Büste des Prinzen, die er einst von ihm geschenkt bekommen hatte. 

Fürst Karl Alois Lichnowsky und die von ihm geförderten Komponisten, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven

Der Enkel von Karl Alois, der geheimnisvolle und temperamentvolle Prinz Felix, kämpfte in seiner Jugend an der Seite spanischer und portugiesischer Konservativer. Wie sein Großvater war er sehr daran interessiert, Künstler zu unterstützen. Er saß in einer Freimaurerloge mit Ferenc Liszt - genau wie sein Großvater mit Mozart. In seiner Blütezeit war Liszt fast so populär wie die Beatles in den 1960er Jahren, was nicht nur an seiner in sehr jungen Jahren erreichten Virtuosität lag, sondern auch an seinem bemerkenswerten Aussehen. Zusammen mit dem ebenso gutaussehenden Lichnowski reisten sie durch ganz Europa und brachen die Herzen vieler Frauen. Und als der Prinz in Schwierigkeiten geriet, rettete Liszt ihn mit allen Mitteln. Allerdings finanzierte der leichtsinnige Prinz Liszt nicht, sondern lieh sich von ihm etwas. Trotzdem besuchte der Komponist häufig Kreuzenort und interessierte sich sehr für die Gegend und ihre Infrastruktur. Ihre Freundschaft währte bis zum tragischen Tod des Prinzen, der während des Völkerfrühlings von einem wütenden Mob buchstäblich in Stücke gerissen wurde. Auch nach dem Tod seines Freundes hielt Liszt den Kontakt zu seiner unmittelbaren Familie aufrecht. Er hatte sich mit seinem Bruder Robert getroffen, bei dem er die Gelegenheit hatte, die Orgel zu spielen.

Fürst Felix Lichnowsky und Franz Liszt

Heute werden die musikalischen Traditionen von Kreuzenort auf eher symbolische Weise gepflegt. Im Jahr 1995 wurde eine Gedenktafel enthüllt, die an den Aufenthalt der großen Komponisten in Kreuzenort erinnert. Jedes Jahr werden unter der Gedenktafel Blumen niedergelegt, gefolgt von einem Beethoven und Liszt gewidmeten Konzert. Nach einer zweijährigen pandemiebedingten Unterbrechung wurden unter der vor 27 Jahren enthüllten Gedenktafel wieder Blumen niedergelegt, und zwar nicht nur von den Gastgebern der Gemeinde Kreuzenort, sondern auch von den Nachkommen der Besitzer des Gutes im benachbarten Tworkau, Graf Wilhelm Saurma von Jeltsch und seiner Frau. 

Die Maikonzerte sind zu einem festen Bestandteil des Repertoires an Großveranstaltungen der Gemeinde Kreuzenort geworden. Der Bürgermeister, Grzegorz Utracki, lädt gerne Vertreter der Partnergemeinden von Kreuzenort zu ihnen ein. An diesen wichtigen Tagen können man Gäste aus den Gemeinden Ratka in Ungarn, Seehaupt in Deutschland, Schillersdorf, Hac und Sandau treffen. Normalerweise finden die Konzerte im Innenhof des Schlosses in Kreuzenort statt, aber wegen des Regens wurde die diesjährige Ausgabe in das Tworkauer Kulturzentrum verlegt.  

Die Konzerte sind eine Gelegenheit, zahlreiche internationale Kontakte zu pflegen. Auf diese Weise wird Kreuzenort, natürlich in kleinerem Rahmen, wieder zu einem europäischen Musikzentrum.

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Natalia Klimaschka