Der Garten Eden hat seinen Glanz verloren

In der Bundesrepublik ging die Sonne nie unter

Die Bundesrepublik galt über Jahre als Musterbeispiel der Perfektion und als Sehnsuchtsort. Doch von diesem Glanz ist in den letzten vierzig Jahren nicht viel geblieben. Dieser Verlust an Attraktivität hat ernsthafte Konsequenzen für die heutige deutsche Minderheit. Sie war in dieses Land verliebt wie die biblische Frau des Lot. Teil eins der Betrachtungen.

Deutschland durch die Mercedes-Brille gesehen

In den siebziger Jahren gaben Menschen ihre Häuser umsonst her, nur um nach Deutschland ausreisen zu dürfen. Wer einen Antrag auf ständige Ausreise in die Bundesrepublik stellte, wurde sofort aus dem Arbeitsverhältnis entlassen und blieb monatelang, wenn nicht jahrelang, ohne Einkommen. Sie nahmen jede Schikane der Behörden in Kauf, nur um in das ersehnte Vaterland zu gelangen. Manchen gelang sogar die illegale Flucht – sie nahmen damit eine jahrelange Trennung von ihren Familien in Kauf.

Die Bundesrepublik erschien ihnen als eine bessere, beinahe ideale Welt, in der alles geordnet und wohlhabend war. Sie schien ein Land, in dem alles funktionierte: kein Müll auf den Straßen, glänzende Busse, makellose Sauberkeit.

Damals wurde der Unterschied in der Lebensqualität vor allem an Autos gemessen. In Polen war der Fiat 126p der Inbegriff eines unerreichbaren Traums – und selbst der war für die meisten Autochthonen kaum erschwinglich. Im Vergleich dazu wirkte ein Mercedes aus den Siebzigern wie ein Raumschiff. Bei den damals völlig unrealistischen Umrechnungskursen von Złoty in D-Mark erschien selbst der ärmste Rentner den Menschen in Oberschlesien wie ein Millionär.

Ebenso wichtig war die Frage der politischen Freiheiten. Autochthone wurden verächtlich behandelt, als Menschen zweiter Klasse, oft auf den Status einer Volksschulbildung reduziert. Wer durch seinen schlesischen Akzent auffiel, hatte in „besserer“ polnischer Gesellschaft nichts verloren. Sie wussten genau, dass sie für ihre deutsche Herkunft diskriminiert wurden. Und sie hofften, dass sie in ihrem deutschen Vaterland mit offenen Armen empfangen würden – was Ende der Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre tatsächlich der Fall war.

Den meisten war bewusst, dass sie in der BRD von null beginnen und wahrscheinlich nie das Vermögen wiedererlangen würden, das sie in Schlesien zurückließen. Für viele bedeutete die Ausreise nach Deutschland einen tiefen sozialen Abstieg. Mit einem tapferen Lächeln erzählten sie jedoch ihren Verwandten daheim, wie gut es ihnen in Deutschland gehe. Der Glaube an das Bild eines nationalen Paradieses war allgegenwärtig. Man fuhr nach Deutschland auf der Suche nach dem Heiligen Gral.

Johann Kroll schrieb die Deutschen auf seine Listen – und der Wohlstand kam

Die Situation der Autochthonen veränderte sich völlig unerwartet – und das in einem Sprung. Der Zusammenbruch des Kommunismus in Polen im Jahr 1989 brachte auch der autochthonen Gemeinschaft neue politische Freiheiten. Diese nutzte Johann Kroll aus Gogolin. Da die Behörden beharrlich leugneten, dass in Oberschlesien überhaupt Deutsche lebten, beschloss er, das Gegenteil zu beweisen. Er hatte die Idee, dass sich alle, die sich als Deutsche fühlen, auf von ihm initiierten Listen eintragen sollten. Im Grunde löste er damit – ohne es zu beabsichtigen – eine neue Volksabstimmung aus.

Innerhalb weniger Monate trugen sich weit über 300 000 Autochthone ein. Viele von ihnen waren direkte Nachkommen jener Menschen, die sich 1921 mit Begeisterung für Polen ausgesprochen hatten. Nun erklärten sie sich zu Deutschen. Die Listen von Johann Kroll wurden zu einer öffentlichen Möglichkeit, sich zu einem besseren, erträumten Leben zu bekennen. Das war der Beginn der organisierten deutschen Minderheit. Auf demselben Gebiet entstand wieder eine starke nationale Minderheit – diesmal eine deutsche.

Dies war zugleich eine Chance auf Emanzipation gegenüber den polnischen Nachbarn, die die Autochthonen noch kurz zuvor mit sichtlicher Geringschätzung behandelt hatten. Der deutsche Pass wurde nun zum Symbol des Stolzes und eines neuen Überlegenheitsgefühls.

Der erste große Vorteil, den man mit der Entstehung der organisierten deutschen Minderheit verband, war die Möglichkeit, legal in Deutschland zu arbeiten. Mit der Öffnung der Grenzen wurde die Arbeit in Deutschland für Autochthone zum Massenphänomen. Man darf nicht vergessen, dass die übrigen polnischen Bürger dieses Recht erst 2011 erhielten. Die Autochthonen waren also ganze 22 Jahre lang auf dem deutschen Arbeitsmarkt privilegiert. Das führte zu einem sprunghaften Anstieg ihres Wohlstands. Vor schlesischen Häusern standen plötzlich teure Autos, oft mit deutschen Kennzeichen. Auf fast jedem Dach wurden Satellitenschüsseln montiert – ein sichtbares Zeichen dafür, dass dort deutsches Fernsehen lief. Diese großen Metallschüsseln wurden zugleich zum Symbol der Zugehörigkeit zu einer subjektiv empfundenen, besseren Welt.

Allmählich zeichnete sich sogar eine gewisse Asymmetrie gegenüber den polnischen Nachbarn ab: Die Autochthonen waren für eine Zeit deutlich wohlhabender. Die Genugtuung darüber war enorm und trug entscheidend zur Stärkung der Autorität der Deutschen Minderheit bei.

Fortsetzung folgt

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Isabelle Bednorz