Die Zeiten, in denen die Einheimischen sich für ihre schlesische Herkunft oder ihren Akzent schämten, sind längst vorbei. Inzwischen sind aus diesem Milieu herausragende Künstler, Wissenschaftler, aber auch Unternehmer hervorgegangen. Viele von ihnen bemühen sich, einen Beitrag zur Bewahrung der historischen, preußischen Identität der Region zu leisten. Einer von ihnen ist zweifellos Joachim Wiesiollek.
Der Verfall der Schlossarchitektur nach dem Zweiten Weltkrieg in Schlesien war und ist ein erschreckendes Phänomen. Die meisten dieser Gebäude waren bis 1945 normal bewohnt. Einige von ihnen hatten Glück, wie die Schlösser in Moschen, Pless oder Rogau. An anderen Orten stehen heute nur noch Ziegel- und Steinhaufen. Ein Großteil davon steht kurz vor der völligen Zerstörung. Nicht selten werden sie von privaten Investoren gerettet, die sich ihrer Verantwortung für das kulturelle Erbe ihrer Heimat bewusst sind. Joachim und Mariola Wiesiollek sind seit Generationen hier ansässig.
In den letzten 40 Jahren waren sie in verschiedenen Bereichen wirtschaftlich tätig. Gemeinsam haben sie ein beträchtliches Vermögen angehäuft und beschlossen, es für die Rettung der Denkmäler ihrer Heimat zu verwenden. Sie waren fasziniert von der Geschichte von Johanna Gryczik, die meist mit dem Märchen von Aschenputtel in Verbindung gebracht wird.
Ihre Geschichte begann in der Zeit der Napoleonischen Kriege. Damals wurde Karol Godulla, ein Einheimischer aus einer einfachen Familie, Förster auf dem Gut von Franz Graf von Ballestrem. Dieser war der Sohn eines italienischen Aristokraten, der eine schlesische Baronin, Maria Elisabeth von Stechow aus Plawniowitz, geheiratet hatte.
Da Godulla seine Aufgabe als Förster sehr ernst nahm, machte er sich den Wilderern zu Feinden. Als sie ihn erwischten, schlugen sie ihn brutal zusammen und hängten ihn mit den Füßen über einen Ameisenhaufen. Bevor Godulla gerettet werden konnte, fraßen die Ameisen sein Gesicht bei lebendigem Leib auf und zerstörten sein Aussehen für immer. Nach diesem Vorfall hatte Godulla bis zu seinem Lebensende Probleme mit seiner Fortbewegung.
Es war Karl Godulla, der den Grafen Balestrem davon überzeugte, auf seinen Ländereien Zink und Kohle abzubauen. Bald wurde er auch Generaldirektor seines Vermögens. Im Jahr 1828 machte sich Godulla selbstständig und baute in den nächsten zwanzig Jahren ein Industrieimperium auf, das 40 Steinkohlebergwerke, 19 Zinkbergwerke, 4 Zinkhütten und 20.000 Hektar Land umfasste. Ob es an seiner körperlichen Entstellung oder seiner Arbeitssucht lag, ist nicht bekannt, jedenfalls blieb Godulla unverheiratet und hatte keine eigenen Kinder. 1844 fragte die Dienstmagd Emilia Lucas den Industriellen, ob sie die zweijährige Johanne, die von ihrer Mutter verlassen worden war, zur Erziehung in das Palais aufnehmen dürfe. Godulla, ein Einzelgänger und Sonderling, war bekannt für seine Abneigung gegen Kinder. Diesmal gab er jedoch den Bitten seiner Angestellten nach.
Eines Tages pflückte das bereits vierjährige Mädchen Blumen im Garten und brachte sie Godulla in sein Arbeitszimmer. Sie soll ihm gesagt haben: „Das ist für Sie, weil ich Sie so gern habe“. Wie sich herausstellte, war dies der Wendepunkt in der Beziehung zwischen Godulla und Johanna. Der Industrielle beschloss, sie unter seinen Schutz zu nehmen und stellte Lehrer für sie ein. Johanna zeigte vielseitige Begabungen, die den alten Godulla in Erstaunen versetzten. Der Industrielle, der seinen großen beruflichen Erfolg auf sein außergewöhnliches Gespür für Menschen gründete, entwickelte großen Respekt für sie. Und auch diesmal irrte er sich nicht.
Im Jahr 1848 erkrankte Godulla an Cholera. Johanna begleitete ihn auf dem Weg ins Krankenhaus nach Breslau. Dort, auf seinem Sterbebett, verfasste Godulla sein Testament, in dem er Johanna adoptierte und ihr praktisch sein gesamtes Vermögen vermachte. Er vertraute sie der Fürsorge seines Freundes und Anwalts Dr. Maximilian Scheffler aus Breslau an. Scheffler nahm seine Aufgabe ernst. Mit großem Engagement bemühte er sich, Johanna Gryczik eine möglichst umfassende Ausbildung zu ermöglichen. Er weckte in ihr auch das Interesse für Kunst und Theater.
Während einer Aufführung in der Breslauer Oper lernte Gryczik den elf Jahre älteren Offizier Hans Ulrich Gotthard Graf Schaffgotsch, Semperfrei von und zu Kynast und Greiffenstein (geb. 1831, gest. 1915) kennen. Dass Ulrich in seinem Nachnamen die Namen der ehemaligen schlesischen Festungen Kynast und Greiffenstein trug, war kein Zufall. Über Jahrhunderte hinweg waren beide Burgen Sitz seiner Familie. Im Laufe der Jahrhunderte stammten viele bekannte Militäroffiziere, Politiker und Bischöfe aus dieser Familie. Das Schicksal der Familie ist seit 1174 dokumentiert. Im 16. Jahrhundert gehörte die Familie zu den reichsten Grundbesitzern Schlesiens. Die Schaffgotschs stifteten beispielsweise das Kloster in Grüssau, in dessen Nähe der bedeutendste schlesische Maler, Michael Willmann, lebte und arbeitete.
Im Jahr 1858 war Graf Hans Ulrich von Schaffgotsch bereits sehr verarmt. Johanna Gryczik, die aus einer Bauernfamilie stammte, war zu dieser Zeit die reichste heiratsfähige Frau in ganz Europa. Zwischen den beiden war es Liebe auf den ersten Blick.
Ein formelles Hindernis für die Heirat war die bäuerliche Herkunft von Gryczik. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. verlieh ihr persönlich den Titel einer Baronin Gryczik von Schomberg-Godulla. Johanna heiratete Hans-Ulrich einige Monate später und sie führten bis zu ihrem Lebensende eine harmonische und liebevolle Ehe.
Das junge Paar lebte zunächst in Breslau, wo die Gräfin Johanna von Schaffgotsch mit ihrer Schönheit und Eloquenz schnell zum Star der Salons wurde.
Später beschlossen die Eheleute, näher an das oberschlesische Industriegebiet zu ziehen, wo sich ihre Bergwerke und Hütten befanden. Ihre Wahl fiel auf die ehemalige mittelalterliche Festung in Koppitz, die im Laufe der Jahrhunderte mehrfach umgebaut und modernisiert worden war. Das Schloss mit dem dazugehörigen Park wurde schließlich von den Grafen von Francken-Sierstorpff gekauft.
Unter Beibehaltung des Kerns des früheren Schlosses führten die Schaffgotschs eine gründliche Erweiterung im neugotischen Stil durch und ergänzten die Fassade mit kunstvollen Verzierungen. Er wurde prächtig und luxuriös eingerichtet. Die hier gesammelten Kunstwerke, die Porzellanwanne, die komplizierten Heizungssysteme und die elektrische Beleuchtung, die von einem eigenen kleinen Dampfkraftwerk gespeist wurde, sind legendär. Das Schloss war von einem 63 Hektar großen Park mit 1342 Gartenskulpturen umgeben. Die Schaffgotschs schufen in Koppitz eine monumentale Residenz, die als eine der prächtigsten in Schlesien galt.
Obwohl hier aristokratische Verwandte und Geschäftspartner empfangen wurden, sollte es in erster Linie dem Komfort einer Familie dienen, deren Leben sich auf der sonnigen Terrasse mit Blick auf den See konzentrierte.
Johanna und Ulrich werden nun gemeinsam das von Godulla geerbte Industrieimperium weiter ausbauen. Ihre Gräflich Schaffgotsch Werke wurden zu einem der vier größten Unternehmen in Oberschlesien. Sie beschäftigten über 5000 Menschen. Die Schaffgotschs wurden um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zu den größten Zinkproduzenten im damaligen Deutschen Reich. Johanna vermehrte ihr Vermögen um ein Vielfaches und wurde eine würdige Nachfolgerin von Godulla. Damit verdient Johanna Schaffgotsch wohl eher den Titel einer autochthonen Löwin als den eines schlesischen Aschenputtel.
Johanna schämte sich nicht für ihre Herkunft. Sie schickte ihre Kinder zusammen mit Schülern aus benachbarten Bauernfamilien in die Dorfschule und förderte den Kontakt zwischen ihnen. Außerdem engagierte sie sich in großem Umfang für wohltätige Zwecke und stiftete Krankenhäuser, Schulen, Kirchen und Waisenhäuser. Die Gräfin starb 1910 und wurde in einer monumentalen Kapelle neben der Kirche beigesetzt. Der Palast in Koppitz wurde von ihren Kindern und Enkeln geerbt.
Die Frontkämpfe im Jahr 1945 und der Einmarsch der Roten Armee hatten keinen Einfluss auf den Palast in Koppitz, der abseits der großen Ereignisse lag. Er überstand diese schwierige Zeit ohne größere Schäden. Doch bereits im Sommer 1945 wurde der Palast zum Schauplatz beispielloser Plünderungen und Raubzüge. Banden von Dieben kamen nach Koppitz und trugen alles aus dem Palast weg, was sich auf Karren oder Lastwagen laden ließ. Die wertvollen Gegenstände gelangten in verschiedene Regionen des Landes. Am aktivsten waren hier Plünderer aus den Woiwodschaften Tschenstochau und Litzmannstadt.
Nach den Plünderern kamen nicht nur Umsiedler aus dem Osten nach Koppitz, sondern auch Einwohner anderer Regionen Polens, die von der Möglichkeit eines schnellen Geldverdienens angelockt wurden. Diese Menschen hatten keinen großen Respekt vor dem deutschen Erbe. Bereits 1945 wurde das Grab von Johanna und Ulrich Schaffgotsch geplündert. Bis heute kursieren in Koppitz Geschichten, wie die mumifizierten Leichen des Grafenpaares aus dem Grab neben der Kirche „zum Spaß“ an den Eingang einer nahe gelegenen Kneipe gestellt wurden. Später lagen die Leichen noch lange Zeit im Park herum. Ein ebenso dramatisches Schicksal ereilte die Leichen der Kinder und Enkelkinder von Johanna, die in einem Gartenmausoleum beigesetzt worden waren. Noch in den 1970er Jahren lagen dort zerbrochene Särge und Überreste der Leichen der einheimischen schlesischen Aristokraten herum.
Im Schloss selbst, das längst bis auf die letzten Möbelstücke geplündert worden war, wurden Büros der örtlichen PGR und Lagerräume eingerichtet. Die dort gelagerten landwirtschaftlichen Erzeugnisse sollten systematisch gestohlen werden. Angeblich wurde das Schloss 1956 aus Angst vor Kontrollen, die die fehlenden Vorräte hätten aufdecken können, in Brand gesteckt. Niemand schien besonders daran interessiert zu sein, das Feuer zu löschen.
In den folgenden Jahrzehnten interessierte sich niemand für die Ruinen am See, obwohl nun die Zeit gekommen war, die Gartenskulpturen zu plündern. Nach 1989 wurden die Ruinen verkauft. Aber irgendwie hatten sie kein Glück mit ihren neuen Besitzern, die, anstatt sie zu retten, meist zu ihrer weiteren Zerstörung beitrugen. Es schien, als sei das Schicksal des Schlosses besiegelt und es würde innerhalb weniger Jahre zu einem Haufen Steine und Ziegel werden.
Die Situation änderte sich im Jahr 2022, als die Ruinen des Schlosses von Joachim und Mariola Wiesiollek, zwei durch Überzeugung geprägten Einheimischen, erworben wurden. Sie waren die ersten, die sich ehrlich zum Ziel gesetzt haben, das Schloss wieder aufzubauen.
Das Gebäude war in einem schrecklichen Zustand. Es war eine Ruine ohne Decken und Dächer, nur ein Teil der Mauern stand noch, die jeden Moment einzustürzen drohten. In den ersten Monaten wurden Sicherungsarbeiten durchgeführt, Betondecken gegossen und, wo noch möglich, Holzdecken eingebaut. Die Arbeiten wurden in einem ständigen Gewissenskonflikt zwischen dem Wunsch, die ursprüngliche Substanz des Gebäudes so weit wie möglich zu erhalten, und der Notwendigkeit, seine Stabilität zu gewährleisten, durchgeführt. Die Arbeiten wurden durch Zuschüsse des Marschallamtes in Oppeln und des Kulturministeriums unterstützt. Diese deckten jedoch nur einen kleinen Teil der Kosten dieser Bauphase.
Der nächste Schritt wird die Rekonstruktion des Dachstuhls sein. Bis heute ist noch keine endgültige Entscheidung darüber gefallen, mit welchem Material das Dach gedeckt werden soll. Ebenso schwierig ist es derzeit, einen Termin für den Abschluss der Rekonstruktion zu nennen. Zumal noch einige Bau- und Denkmalschutzgenehmigungen ausstehen.
Die nächste große Investition wird der Einbau von Fenstern und Türen sein. Erst dann kann man sagen, dass der Verfall des Gebäudes endgültig gestoppt und der Palast gerettet ist.
Joachim Wiesiollek will oder kann noch nicht sagen, was er mit dem Schloss vorhat. Es ist daher schwer zu spekulieren, ob dort ein Konferenzzentrum, ein Hotel, ein Museum oder vielleicht Wohnungen entstehen werden. Er behauptet, dass die Aussicht auf einen vollständigen Wiederaufbau des Schlosses so fern ist, dass es schwierig ist, etwas im Voraus zu sagen.
Die Rekonstruktion oder der Wiederaufbau des Schlosskomplexes in Koppitz durch Joachim Wiesiollek ist an sich schon ein Symptom für ein völlig neues Phänomen. In der autochthonen Bevölkerung zeichnen sich ganz neue Finanzielle Eliten ab, die sich große, öffentlichkeitswirksame Investitionen leisten können. Sie versuchen, mit eigenen Mitteln bedrohte Gedenkstätten in Oberschlesien zu retten.
Johanna Gryczik wäre sicherlich voller Bewunderung für den Mut und die Entschlossenheit der Familie Wiesiollek gewesen. Sie hätte sich sicherlich auch darüber gefreut, dass ihr Schloss von Menschen aus dem gleichen Umfeld wie sie selbst wieder aufgebaut wird.