27.10.2022
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Wir sind Geschwister, leider zerstritten

Sollten die deutsche Minderheit und die Schlesier eine gemeinsame Dachorganisation bilden?

Es folgen weitere Überlegungen von Johannes Sotor zu den Perspektiven der Beziehungen zwischen den Schlesiern und der deutschen Minderheit. Diese Gemeinschaften sind durch eine gemeinsame Geschichte und die schlesische Sprache verbunden, die sie im täglichen Leben verwenden. Sotor ist der Ansicht, dass die beiden Fraktionen durch die Ambitionen ihrer Führer gespalten sind. Er ruft dazu auf, sich zwischen den beiden Gemeinschaften zu versöhnen und die Zusammenarbeit auf organisatorischer Ebene so weit wie möglich zu verstärken.

Händedruck

Die Mitglieder der deutschen Minderheitenorganisationen und die schlesischen Gemeinden haben eine gemeinsame Geschichte. Sie verweisen darauf, dass ihre Vorfahren deutsche Staatsbürger waren, dass ihre Großväter in der Armee Kaiser Wilhelms gekämpft haben. Sie teilen eine Liebe zur Ordnung und ein Arbeitsethos. Sie sind sich der preußischen Traditionen bewusst, in denen sie aufgewachsen sind. Beide Gemeinschaften verwenden im Allgemeinen dieselbe schlesische Sprache. 

Dies mag auch daran liegen, dass die Nachkommen der Deutschen, die während der Industrialisierung nach Schlesien kamen, praktisch nicht mehr vorhanden sind. Fast alle von ihnen sind im Zuge der Veränderungen nach 1945 von hier weggegangen. Was in Schlesien blieb, waren die Autochthonen, die aus verschiedenen Gründen die Polonisierung und das Leben in der neuen Realität akzeptierten. Später jedoch verspürten sie zunehmend Sehnsucht nach ihrem Deutschtum. Und schließlich kam es nach 1989 zu einer Explosion deutscher nationaler Identifikationen.

Damals wurden deutsche Minderheitenorganisationen gegründet, die heute in der Dachorganisation VdG - dem "Verband deutscher Gesellschaften" - zusammengefasst sind. Sie sind eine starke politische Kraft, die an der Machtausübung in der Region beteiligt ist. Sie haben sogar einen Vertreter im polnischen Parlament. Die deutsche Minderheit agiert professionell, verfügt über umfangreiche Strukturen und eine definierte Position. Ihre Bedeutung richtet sich nach den finanziellen Mitteln, die aus dem Haushalt der Bundesrepublik Deutschland fließen. Ohne sie hätten die deutschen Organisationen wahrscheinlich keine Überlebenschance.  

Im Gegensatz dazu ist das schlesische Umfeld glaubwürdiger. Und das, obwohl sie keinerlei finanzielle Unterstützung erhalten. Sie entwickeln beeindruckende soziale Aktivitäten. Sie veranstalten öffentliche Demonstrationen und sichtbare kulturelle Veranstaltungen. 

Die Leiter der beiden Organisationen begegnen sich mit Misstrauen und Abneigung. Der wichtigste Streitpunkt ist dieselbe Wählerschaft, an die sie sich wenden. Es ist ein Konflikt um das Recht, in einem kleinen, hermetischen Umfeld zu dominieren. Die schlesischen Organisationen appellieren an das intellektuelle Potenzial ihrer Eliten. Deutsche Organisationen leiten die Vorstellung ihrer Überlegenheit aus ihrer Fähigkeit ab, auf deutsche Ressourcen zuzugreifen. 

Ein wichtiger Streitgegenstand ist die Frage der Sprache. Nur selten findet man in Oberschlesien Haushalte, in denen Deutsch die vorherrschende Sprache in den Gesprächen ist. Das ist schade, denn es handelt sich um eine wichtige Sprache, die für jeden Schlesier von besonderem Wert sein sollte. Sie ist auch die Grundlage für den Lebensunterhalt vieler schlesischer Familien. Dank ihrer Deutschkenntnisse können sie in ganz Europa frei reisen und sich in vielen Ländern verständigen. Infolgedessen verdienen sie gutes Geld und kehren nach Hause zurück. Die schlesischen Organisationen sind sich dessen bewusst und unterstützen den Unterricht in Deutsch als Muttersprache voll und ganz.  

Aber genau so sollte die Minderheit dazu beitragen, die schlesische Sprache in den Schulen einzuführen. Inzwischen hat man den Eindruck, dass die deutschen Minderheitenorganisationen die Bemühungen um die Anerkennung der Sprache der Schlesier als Regionalsprache nicht anerkennen. Sie vertreten damit eine ähnliche Auffassung wie die ehemaligen kommunistischen Lehrer, die versuchten, den Autochthonen ihr Recht auf eine eigene Identität vorzuenthalten. Ein wirksames Schwert war die hartnäckige, ständige Behauptung, dass die Schlesier doch autochthone Polen seien und dass die schlesische Sprache doch nur ein kompromittierender "Dialekt" der polnischen Sprache sei. Tatsächlich hat sich die schlesische Sprache in den letzten Jahrzehnten dem Polnischen stark angenähert. Das ist aber noch lange kein Grund für eine Minderheitenorganisation, die schlesische Umwelt als minderwertig zu betrachten. 

Seit vielen Jahren befindet sich der TSKN `Towarzystwo Społeczno-Kulturalne Niemców (Sozio-Kulturelle Gemeinschaft der Deutschen) in einer ideologischen Stagnation; die Organisation öffnet sich nicht für neue Ansichten und Umfelder. Mit fundamentalistischer Hartnäckigkeit beharrt sie auf dem Deutschtum, das sich auf einem protestantischen Fundament herausgebildet hat. Die Kultur der modernen Bundesrepublik ist geprägt von Säkularismus, Materialismus, Hedonismus. Und dies sind Sehnsüchte der katholischen Autochthonen, die per definitionem fremd und inakzeptabel sind. 

Gleichzeitig sieht die deutsche Minderheitenorganisation die schlesische katholische Identität eher als Bedrohung denn als potenzielle Stärke. Und damit entfremdet sie viele Autochthone. Es ist absurd, ihnen einzureden, sie hätten eine moderne, protestantische Identität, die sie nicht haben und nie haben werden. TSKN bemerkt, dass eine solche Strategie das Risiko der Marginalisierung bringt. 

Die Probleme liegen aber keineswegs nur auf der Seite der deutschen Minderheit. Auch innerhalb der schlesischen Organisationen gibt es viele Spaltungen und Unstimmigkeiten. In diesen Gemeinden gibt es viele Aktivisten, die aus verschiedenen sozialen, ökologischen oder beruflichen Gründen das Schlesiertum als eine Art Mutation des Polentums betrachten. Paradoxerweise werden sie auf diese Weise Teil dieser ideologischen Strömung, die das gefährlichste Instrument für den Zerfall dieser Milieus ist.  

Was wir brauchen, ist ein tiefgreifender Wandel in den schlesischen Organisationen und die Wiederherstellung des Vertrauens der Schlesier in die deutschen Minderheitenorganisationen. Die schlesischen Kreise sollten sich stärker für deutsche Inspirationen öffnen, die ihre Identität ergänzen könnten. Autochthone sollten sich bewusst und in großer Zahl den Reihen der TSKN anschließen.  

In gewisser Weise geschieht dies bereits. Die schlesische und die deutsche Minderheit treffen sich häufig bei verschiedenen Festen und kulturellen Veranstaltungen. Es gibt keine Feindschaft zwischen ihnen. Sie haben Spaß miteinander und diskutieren ihre aktuellen Probleme in der schlesischen Sprache.

Streitigkeiten sind ein einfacher Weg zur Assimilierung. Sie dienen denen, die sowohl die schlesische als auch die deutsche Minderheit loswerden wollen. Ein logisches und notwendiges Postulat für die Zukunft ist die Schaffung einer neuen Dachorganisation, die Schlesier und Deutsche zusammenführt. Es liegt noch ein sehr langer Weg vor uns. 

Diese Vorschläge sind keineswegs ideologisch und schon gar nicht politisch. In der heutigen globalisierten Welt sind regionale Bindungen für ein kulturelles Sicherheitsgefühl von entscheidender Bedeutung. Sie sind eine Art wirksamer Schutz dagegen, sich in der Welt zu verlieren und orientierungslos zu fühlen. Für die Bürger sind sie von Bedeutung und stellen einen Wert dar, um den sich die Verantwortlichen beider brüderlichen Kreise gemeinsam kümmern sollten.  

PS. Der Autor bestreitet nicht, dass es Autochthone mit einer authentischen polnischen Identität gibt, und natürlich beziehen sich diese Überlegungen nicht auf sie.

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Johann Sotor