23.6.2022
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Niemand war an Studenten interessiert

Feier zum 30-jährigen Bestehen der Akademischen Vereinigung "Salia Silesia"

Deutsche Studentenorganisationen haben in der Bundesrepublik oft einen katastrophalen Ruf und werden mit nationalistischen Bewegungen in Verbindung gebracht. Obwohl sie während der Nazizeit verboten und verfolgt wurden, beziehen sie sich eindeutig auf Traditionen aus dem 19. Jahrhundert. In Schlesien haben diese Organisationen jedoch einen ganz anderen Charakter und eine ganz andere Bedeutung. Sie bilden eine Art Club der deutschen Intelligenz. Aber vielleicht gerade wegen dieser schicksalhaften Berliner Konnotationen stoßen sie bei der Funktionselite der VdG-Organisationen nicht auf Interesse.

Salia Silesia
Fot. Natalia Klimaschka

Der Prototyp der ersten akademischen Korporationen kann bis in die Antike zurückverfolgt werden. Die griechischen Symposien - denn so werden sie genannt - waren gesellige Zusammenkünfte von Männern, die dem Genuss von Speisen und Getränken dienten. Zu Veranstaltungen dieser Art waren nur Herren zugelassen, und - ohne das Recht auf gleichberechtigte Teilnahme - möglicherweise auch weibliche Unterhalter. Die Diskriminierung von Frauen war damals so weit verbreitet und offensichtlich wie die Sklaverei. 

Im Mittelalter brachten akademische Korporationen Studenten zusammen, die sich an den politischen Angelegenheiten der Universitäten beteiligten. Solche Organisationen sind in vielen europäischen Ländern entstanden: in Frankreich, Italien oder Belgien. Die ersten von ihnen waren zum Beispiel an der Sorbonne in Paris tätig. Auch in Deutschland entwickelten sich Studentenbewegungen, deren Ziel nicht nur die Politik und die Erhaltung der kulturellen Identität war, sondern auch die Unterstützung der jüngsten Mitglieder. Die Ältesten waren sehr bemüht, sie mit Wohnraum, Hilfe und Berufsberatung zu unterstützen. 

Als an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert intellektuelle Strömungen auftauchten, die sich auf nationale Kategorien bezogen, wurden die Studentenorganisationen zu deren Vorhut. Während des polnischen Novemberaufstandes bewunderten deutsche Korporationsstudenten den Mut und die Tapferkeit der Polen und erlagen dem damaligen Trend der Faszination für das Polnische, der sogenannten Polenschwärmerei. Studentenlieder wurden zu Ehren der Polen verfasst, und Elemente der Tracht der Aufständischen wurden übernommen. Die Studentenorganisationen vertraten eine Haltung, die wir heute oft in den Beziehungen zu ukrainischen Flüchtlingen sehen. 

Es sollte nicht vergessen werden, dass es auch Korporationen von jüdischen Studenten gab. Diese bildeten sich um die 1880er Jahre, wie zum Beispiel der zionistische Verein "Jordan München" beweist. Und auch reine Frauenunternehmen, die Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet wurden. 

Leider, wie die Mehrheit des deutschen Volkes, sind auch Studenten auf die Ideologie Adolf Hitlers reingefallen. Aber auch hier zeigt das Russland als aktuelles Beispiel, wie schnell eine Gesellschaft und ihre intellektuelle Elite manipuliert werden kann, wenn man die Medien monopolisiert. Das Phänomen war in Deutschland umso schwerer zu verstehen, als die Studentenorganisationen mit der Zeit von den Nazis verboten wurden. In der offiziellen Darstellung galten sie als altmodisch und reaktionär. Die Verbände wurden auf eine mögliche jüdische Mitgliedschaft überprüft. Aber auch viele Studenten beteiligten sich an der Widerstandsbewegung, wofür sie in Konzentrationslager geschickt wurden. Es ist daher schwierig, von einer Unterstützung der studentischen Organisationen, insbesondere der katholischen, für den Nationalsozialismus zu sprechen. 

Während zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Denken in nationalen Kategorien ein Symbol der Modernität war, wird es heute eher mit reaktionären Empfindungen assoziiert. Und tatsächlich identifizieren sich einige Unternehmen noch immer stark mit radikalen Ansichten. Bei ihren traditionellen Treffen pflegen sie die romantischen Bräuche von Fackelmärschen und singen sogar die erste Strophe der deutschen Hymne. Was sowohl in Deutschland als auch in Europa auf eine offensichtliche und berechtigte Verurteilung stößt. Aus diesem Grund haben die ehemaligen Studentenorganisationen heute in Deutschland einen schlechten Ruf und nur wenig Zugkraft

Ihre Situation und Rolle in Oberschlesien ist jedoch eine ganz andere. Nach 1989 traten in Oberschlesien Vertreter ehemaliger Studentenorganisationen auf, die hier bis 1945 tätig waren. Eine davon war die in 1904 von oberschlesischen Studenten in Breslau gegründete Deutsche Katholische Studentenverbindung "Salia". Nach dem Krieg wurde sie in Paderborn reaktiviert und fusionierte schließlich 1978 mit einer anderen Gewerkschaft, dem "Rheinland".  

Den Abgesandten dieser Vereinigung gelang es 1991, eine Gruppe von Studenten um sich zu scharen, darunter Christoph Wysdak, Damian Schwider, Heinrich Ziegler, Martin Matheja, Gerhard Piechaczek, Manfred Wawrzynosek und Marius Slota. Und so wurde die "Salia Silesia" geboren. 

Der Verein wurde im Mai 1992 in Gleiwitz gegründet. Daher auch der vollständige Name: "Salia Silesia zu Gleiwitz". Sie versteht sich aber als Fortführung der ehemaligen deutschen Unternehmen, die hier tätig waren. Sie zeichnen sich durch eine reiche schlesische Symbolik aus, die sich auch in ihren Festtagstrachten widerspiegelt. "Salia" unterscheidet sich von anderen akademischen Korporationen beipielsweise durch ihre Kostüme, die dem so genannten Bergmoniok, also der Uniform der Bergarbeiter, nachempfunden sind.  

Die Organisation würde nicht existieren, wenn es nicht den einzigartigen Faden des Verständnisses gäbe, der sich zwischen ihren Gründern gebildet hat. Jedes Jahr feiern die Mitglieder der Organisation ausgiebig ihre Freundschaft, die alles überdauern soll. Und in der Tat hat der Verein seit seiner Gründung viele Studenten in seine Reihen aufgenommen und zählt heute rund 200 Mitglieder. Sie treffen sich nicht nur gern, um bei einem Bier nostalgische Geschichten über ihre kleine Heimat zu erzählen, sondern nehmen auch an interessanten Veranstaltungen und Vorträgen teil und besuchen Orte, die mit der Erinnerung an Oberschlesien verbunden sind, wie Museen und Galerien.  

Die Akademische Gesellschaft "Salia Silesia" feiert in diesem Jahr ihr 30-jähriges Bestehen. Dieses feierte sie festlich mit einer Akademie in Proskau. In der Stadt befand sich im 19. Jahrhundert die erste Universität in Oberschlesien überhaupt. Die Akademie brachte auch viele Dissidenten aus deutschen Minderheitenorganisationen zusammen. 

Während die meisten Treffen der autochthonen Gemeinschaften oder sogar der deutschen Minderheitenorganisationen in schlesischer Sprache abgehalten werden, fand das Treffen in Proskau von Anfang bis Ende in der am Rhein vorherrschenden Sprache statt. Deutsch wurde auch von den Teilnehmern der Akademie in Gesprächen hinter den Kulissen verwendet. In diesem Sinne wurde das Treffen zum lebenden Beweis dafür, dass einige der einheimischen Elite diese Sprache besser beherrschen, als man erwarten würde. Aber es war besispielsweise auch ein Umfeld, das mit Abneigung auf jede Manifestation eines extravaganteren Kleidungsstils reagierte und damit gleichsam die schlechten, zutiefst konservativen Assoziationen bestätigte, die aus der Bundesrepublik hereinwehten. 

Die Funktionseliten des VdG oder des TSKN waren bei dem Treffen in Proskau nicht anwesend. Dies wurde von vielen als weiterer Beweis für das mangelnde Interesse der Führung dieser Organisationen an der Einbeziehung der Intelligenz in ihre Aktivitäten gewertet. Das ist bedauerlich.

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Natalia Klimaschka