10.7.2021
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Feuer oder Netflix?

Seit Jahrhunderten hat Oberschlesien seine alten Bräuche gepflegt

Nicht alle Autochthonen verbringen die Zeit nur vor dem Fernseher und schauen Netflix an. Seit Jahrhunderten gibt es in Oberschlesien Bräuche, die fast unverändert geblieben sind. Üblicherweise kann man sie an Feiertagen erleben, aber nicht nur. Einer dieser Bräuche ist die Mittsommernacht, die kürzeste Nacht des Jahres, in der nach alter Tradition Lagerfeuer und geheimnisvolle Praktiken gepflegt werden. Auch in Deutschland lebende Schlesier halten an diesen Bräuchen fest.

Mittsommerfeuer
LoomisFin

Nicht alle Autochthonen verbringen die Zeit nur vor dem Fernseher und schauen Netflix an. Seit Jahrhunderten gibt es in Oberschlesien Bräuche, die fast unverändert geblieben sind. Üblicherweise kann man sie an Feiertagen erleben, aber nicht nur. Einer dieser Bräuche ist die Mittsommernacht, die kürzeste Nacht des Jahres, in der nach alter Tradition Lagerfeuer und geheimnisvolle Praktiken gepflegt werden. Auch in Deutschland lebende Schlesier halten an diesen Bräuchen fest.

Der Brauch der Mitsommernacht (Sobótka) geht auf alte heidnische Zeiten zurück. In der Kupalanacht (Noc Kupały), der kürzesten Nacht des Jahres, entflammen überall in schlesischen Landen riesige Lagerfeuer, über die nach alter Tradition Jugendlichen springen. Dabei werden Lieder gesungen und die Farnblume gesucht. Demjenigen, der sie gefunden hat, erwartet – so die Verheißung - großer Reichtum. Nach der Christianisierung von Oberschlesien wurden die Feierlichkeiten zur Kupalanacht von der Kirche untersagt. Doch weil diese Tradition bei der Bevölkerung sehr beliebt war, wurde sie umgedeutet und weitergefeiert.

So wurde die Feier der Mitsommernacht auch auf den zweiten Pfingsttag verlegt. Gemäß der christlichen Tradition kam der Heilige Geist in Form von Feuerzungen auf die im Abendmahlssaal versammelten Apostel und Maria herab. Zu diesem Feiertag passte der Brauch des Lagerfeuers perfekt. Abgesehen von der veränderten symbolischen Bedeutung hat sich in der Tat aber nicht viel verändert. Das Lagerfeuer war immer noch mit der Versammlung der Dorfbewohner, mit viel Geschäftigkeit und Musik verbunden.

Seit Anbeginn wird dem Feuer eine außergewöhnliche Reinigungskraft zugeschrieben. Daher ist es interessant zu sehen, wie viele Volksrituale mit Feuer verbunden sind. Erwähnenswert ist zum Beispiel auch der Brauch der Judasverbrennung, der im Osterartikel beschrieben wurde.

Ein Beispiel dafür, wie sehr der Brauch des Feuers der Mitsommernacht in oberschlesischen Ortschaften bis heute lebendig ist, kann man in Boischow erleben, ein paar Kilometer von Tichau entfernt. Jeden Pfingstmontag zünden die Einwohner ein Lagerfeuer an. Die Vorbereitungen beginnen lange im Voraus. Aus den Ästen bauen sie einen Feuerplatz. Nach Anbruch der Dunkelheit versammeln sich alle, und die Feier beginnt. Einige Lagerfeuer werden vom Orchester und von regionalen Bands begleitet. Während der Mitsommernacht gibt keine Altersgrenzen, alle feiern zusammen.

Das Pfingstfeuer hat einen integrierenden Charakter, gibt allen Bewohnern das Gefühl, ein Teil der lokalen Gemeinschaft zu sein. In Oberschlesischen ist der Brauch der Mitsommernacht ein besonders wertvoller Kulturschatz. Vor allem jetzt, wenn alle Traditionsfeste in Vergessenheit geraten sind oder sich in Volksfeste verwandelten, die mit den alten Traditionen wenig gemeinsam haben.

Zu den anderen, mit Pfingsten verbundenen Bräuchen gehören die sogenannten Moiki. Sie werden oft schon Anfang Mai gefeiert. Vor den Häusern der jungen Mädchen – früher sagte man Jungfrauen - stellen deren Verehrer hohe Holzstämme auf, auf die Feldblumen, Zweige junger Bäume und Sträucher gelegt werden. Vorbereitet werden sie in der Nacht, um die Auserwählten zu überraschen. Einige der jungen Männer stellen vor dem Haus ihres Mädchens - statt Moikas - “dziady”, also hässliche Puppen, auf, deren Aufgabe es ist, die Frauen zu erschrecken. Dennoch werden die Bräuche umgekehrt verstanden:”„tam gdzie moj, tam wesela się nie spodziewoj, a tam gdzie dziod, tam będziesz pił i jodł” was bedeutet “"Wo es eine moika gibt, dort wird nicht geheiratet und wo der dziad steht, wird gegessen und getrunken.”

Erstaunlich ist, dass die alten Bräuche von den sozialen Medien neu entdeckt wurden und sich immer größerer Beliebtheit erfreuen – ganz nach dem Motto: Was kann attraktiver sein, als die eigenen Fotos von geheimen Ritualen der Pfingstnacht auf Facebook oder Instagram zu stellen? Selbst in Deutschland lebende Oberschlesier können dieser Versuchung nicht widerstehen. Immer öfter verzichten sie auf Netflix und kommen in ihre Heimatstädte, um die Mittsommernacht zu feiern.

Daria Socha


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Natalia Klimaschka