Im 18. Jahrhundert war die Quelle in Gogolin für ihre wundersamen Kräfte bekannt. Die Familie Gaschin errichtete darüber eine Kapelle, die zu einem Ort der Mai-Verehrung der Muttergottes wurde. Heute ist die kleine Kirche ein Symbol für das Bewahren der Traditionen der autochthonen Bevölkerung.
Im 18. Jahrhundert wurde eine Tochter der Grafenfamilie von Gaschin blind geboren. Der Legende nach erhielt sie ihre Sehkraft durch das Wasser der Quelle in Gogolin, an der ihr die Muttergottes erschienen sein soll. Zum Gedenken an dieses Ereignis stifteten die Gaschins eine Kapelle an der Quelle, die bis heute besteht.
Lange vor dem ersten Sonntag im Mai krempelt die Familie Polanski aus Gogolin die Ärmel hoch. Christian Polanski, Vorsitzender der DFK in Gogolin, mäht den Rasen, streicht die Kapelle und repariert kleinere Schäden. Seine Mutter Christiane und seine Frau Barbara halten die Kapelle sauber und sorgen für frische Blumen. Tochter Andrea, die bereits studiert, hilft seit ihrer Kindheit mit. Für die Oma sind die Maiandachten nicht nur Ausdruck ihrer Religiosität, sondern auch ihrer autochthonen, deutschen Identität. Sie ist in dieser Tradition aufgewachsen und war als Kind fasziniert von der Geschichte der Kapelle der Muttergottes in Gogolin.
"In dieser Kapelle gibt es eine Wasserquelle. Um 1700 gehörte das Land der Familie Gaschin aus Zyrowa. Die Gaschins hatten eine Tochter, die blind geboren wurde. Der Legende nach riet ihnen eine alte Frau, das Mädchen auf eine Pilgerreise zur Heilquelle in Gogolin mitzunehmen und die Augen des Kindes mit dem heilenden Quellwasser zu waschen. Die alte Frau sagte ihnen: „Aber ihr müsst fest daran glauben“, erinnert sich Christiane Polanski.
Der Legende nach befolgten die Adligen den Rat der alten Frau, und ihre Tochter konnte zum ersten Mal sehen. „Man sagt, dass die Jungfrau Maria an diesem Ort der Gräfin Gaschin erschienen ist. Um dieses Wunder zu verewigen, wurde um die Quelle eine Kapelle errichtet, zu der bis heute die Einwohner von Gogolin pilgern“, erzählt Polanski.
Seit 35 Jahren finden in der Kapelle der Familie Gaschin in Gogolin jeden Sonntag im Mai deutsche Gottesdienste statt. Ins Leben gerufen wurden sie von Prof. Joachim Piecuch, der dort den ersten Maigottesdienst nach dem Ende des Kommunismus gefeiert hat.
„Es war die Suche nach einem Stück Heimat, in dem wir mit den Liedern und Gebeten, die wir von unseren Eltern und Großeltern gelernt hatten, singen und beten konnten“, sagt er.
Joachim Piecuch begleitete 1990 als junger Geistlicher den Gründer der deutschen Minderheit, Johann Kroll, auf seiner Zugfahrt zur deutschen Botschaft in Warschau. Im Gepäck hatten sie 40.000 Unterschriften von Oberschlesiern, die sich zu ihrer deutschen Identität bekannten. Das war kein risikoloses Vorhaben, erinnert sich Piecuch: „Wir wussten nicht, wie das ausgehen würde, ob die Deutschen anerkannt werden würden. Das erforderte Mut, aber in unseren Herzen war große Hoffnung.“
Piecuch erinnert sich mit großer Zuneigung an Johann Kroll, der bereits 1988 begann, geheime Treffen von deutschen Oberschlesiern aus der Oppelner Region zu organisieren. Er sammelte Unterschriften von Menschen, die sich als Deutsche bekannten. „Ich erinnere mich an seine Begeisterung, seine Herzlichkeit, ich konnte ihm einfach nichts abschlagen“, sagt Piecuch.
Doch auch für Joachim Piecuch gab es Zeiten, in denen er seine deutschen Wurzeln geheim hielt. „Als Kaplan in Beuthen galt ich als Pole und habe mich nicht öffentlich als Deutscher zu erkennen gegeben“, erinnert er sich. Das schmerzt ihn noch immer, aber „andererseits wäre es eher ein Hindernis für meine pastorale Arbeit gewesen“, sagt Piecuch. „Aber in meinem Schrank und auf meinem Schreibtisch lagen immer deutsche Bücher, ganz offen.“
Mit der Zeit wurde Piecuch immer mehr bewusst, dass dies „meine Welt, meine Haltung ausmacht. Es ist die Kultur, der ich angehöre, und die deutsche Sprache, die ich zu Hause gelernt habe, meine Sprache ist“.
Piecuchs Engagement für die deutsche Minderheit reicht bis in die Zeit seiner Zusammenarbeit mit Johann Kroll zurück. Er war Zeuge der großen Begeisterung und Hoffnung, die damals in der autochthonen Bevölkerung geweckt wurden. Es war eine Zeit, in der noch viele Schlesier lebten, die sich an ihre Kindheit in deutschen Schulen erinnerten. Ganz natürlich sehnten sie sich nach dieser Zeit zurück. Nach vielen Jahrzehnten fühlten sie sich endlich frei und freuten sich darüber, ihre deutsche Identität offen zeigen zu dürfen. Genau diesen Menschen – seinen nahen und fernen Nachbarn – wollte Piecuch helfen, ihre Identität wiederzuentdecken.
„Diese Menschen standen mir nahe, sie stammten aus meiner Kultur. Es war vor allem ein pastoraler Impuls, denn man muss Menschen in ihren Bedürfnissen so gut wie möglich unterstützen“, sagt Piecuch.
Der katholische Theologe aus Gogolin ist Professor an der Universität Oppeln und engagierter Forscher der lokalen Geschichte. Er ist Mitbegründer und Vorsitzender des Vereins der Freunde der Region Gogolin. Der Verein sammelt und veröffentlicht historische Materialien über Gogolin, darunter Augenzeugenberichte, und gibt die „Zeszyty Gogolińskie“ (Gogoliner Hefte) heraus.
Das Engagement von Prof. Piecuch für die Erhaltung des kulturellen Gedächtnisses umfasst auch die regelmäßige Erinnerung an die sogenannte Oberschlesische Tragödie von 1945, bei der infolge des Einmarsches der Roten Armee vor allem die Zivilbevölkerung ums Leben kam.
Obwohl die Begeisterung der ersten Jahre der organisierten deutschen Minderheit längst verflogen ist, bemüht sich Prof. Piecuch konsequent, die deutschsprachigen Traditionen seiner Eltern und Großeltern weiter zu pflegen. Von großer Bedeutung ist auch die Tatsache, dass die Kapelle, in der die Maiandachten stattfinden, ein Ort der Erinnerung an die Gaschins bleibt, die über Jahrhunderte hinweg zur Entwicklung dieses Landes beigetragen haben.
„Ich hoffe, dass auch heute die Gläubigen nach den Maiandachten mit Freude und einem Gefühl der Erfüllung nach Hause zurückkehren. Sie nehmen an der Liturgie und der Predigt in ihrer Sprache teil, und gemeinsam singen wir deutsche Lieder. Ich wünsche mir, dass sie aus diesen Begegnungen die Freude am aktiven Kontakt mit der Sprache ihrer Großeltern mitnehmen. Zudem habe ich das Gefühl, dass sie durch die Quelle in der Kapelle ihre deutschen Wurzeln besser verstehen.“
Ähnliche Beweggründe haben auch die Polanskis vom DFK in Gogolin. Aus diesem Grund haben sie beschlossen, die Kapelle der Muttergottes in den kommenden Monaten so zu pflegen, dass sie weiterhin ein Ort der Begegnung bleiben kann.