3.8.2022
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Die Verwandlung von der Raupe zum Schmetterling

Überlegungen einer schlesischen Studentin

Elżbieta Łęgowik ist Journalismusstudentin und Autochthone aus Überzeugung. Im Folgenden präsentieren wir ihren Text über die Suche nach Identität und die Gefühle, die sie mit den schlesischen kulturellen Traditionen verbindet. Łęgowik schreibt über die sozialen Traumata ihrer Großeltern und die Emanzipationsträume ihrer Umgebung. Sie schreibt der schlesischen Sprache eine besondere Rolle in diesem Prozess zu. Sie spricht auch über die Bedeutung der Beziehung zwischen dem Schlesiertum und dem Deutschtum.

Elżbieta Łęgowik

Die schlesische Sprache weckt in mir außergewöhnliche Emotionen, wahrscheinlich weil der Ursprung meiner Familie mit diesem Land verbunden ist. Das Kennenlernen der Kultur, aus der ich komme, hat in den letzten Jahren einen sehr großen Teil meiner Zeit in Anspruch genommen. 

Die Sprache, die die Menschen um mich herumsprachen, war für mich anfangs unverständlich. Als ich aus der Großstadt in ein oberschlesisches Dorf zog, fand ich neue Freunde, die der schlesischen Tradition näherstanden. Zunächst schien mir die Annäherung an ihre Welt nur etwas Interessantes zu sein. Allerdings nicht genug, um es als etwas mehr zu betrachten. Es ging nur ums Erkunden und Beobachten. Ich wusste nicht, inwieweit diese Elemente die Grundlage meiner Identität bildeten. Diese hat sich im Laufe der Zeit mehrfach gewandelt. 

Ich habe nachgelesen, dass in der preußischen Zeit Schlesisch die Sprache der Arbeiter war. Damals galt sie als die Sprache der ungebildeten, armen und hart arbeitenden Menschen. Sie versuchten, dem Zustrom der preußischen Eliten gerecht zu werden, und integrierten daher immer mehr deutsche Wörter in ihren Dialekt. Das Ergebnis war ein seltsames, nicht sehr elegantes Konglomerat. Sie bot auch nicht die Möglichkeit, komplexe intellektuelle Überlegungen in ihr zu artikulieren. Die Sätze sind einfach, die Worte recht vulgär, und es wurde meist benutzt, um Befehle zu erteilen, ohne um Erlaubnis zu fragen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hielt der Kommunismus Einzug in Schlesien. Die Wahrnehmung des Schlesischen durch die zugewanderte Bevölkerung aus anderen Regionen Polens hat sich nicht wesentlich verändert. Das Einzige, was jetzt anders war, waren die abfälligen Worte, mit denen die Menschen bezeichnet wurden, die es benutzten. Es gab einen großen sozialen Druck, sie nicht zu benutzen. Die Schlesier wurden im täglichen Leben diskriminiert. Die schlesische Sprache war ein Zeichen dafür, dass man "minderwertig" war.

In der Jugend unserer Eltern und Großeltern spiegelte sich die Haltung der polnischen Mehrheit gegenüber den Schlesiern auch in den Medien wider. In Verfilmungen wurden die Schlesier als dumme, ungebildete Menschen dargestellt, die nur die einfachsten körperlichen Arbeiten verrichten konnten. Kein Wunder, dass die Vertreter dieser Generation versuchten, die schlesische Sprache zu vermeiden, um sich nicht vor Kollegen, Lehrern oder Gleichaltrigen zu blamieren. Meine Großeltern hegten daher einen solchen Groll gegen die schlesische Sprache, dass sie ihn bis heute mit sich herumtragen. Das ging so weit, dass sie in meiner Kindheit in meiner Gegenwart nicht schlesisch gesprochen haben. Als ich ein Teenager war, konnte ich nicht einmal verstehen, was sie untereinander sagten.

Natürlich ist die Fähigkeit, die Sprache zu sprechen, eine individuelle Angelegenheit, aber paradoxerweise spricht die Generation meiner Großeltern heute am wenigsten Schlesisch. Sie glauben, dass nur einfache, ungebildete Menschen ohne besondere intellektuelle Ambitionen dies in der Öffentlichkeit tun. 

 Ich wurde bereits in den 2000er Jahren geboren. Meine Kindheit war von Kosmopolitismus geprägt. Die Zeichentrickfilme, die ich gesehen habe, wurden meist in Hollywood produziert. Das Internet weckte die Sehnsucht sich an die globalisierten Standards der Welt anzupassen. Es gab auch diejenigen, die versuchten, eine polnische Identität zu erzwingen.

In meinen Teenagerjahren zog ich aufs Land. Das hat meine Perspektive völlig verändert. In meiner neuen Umgebung begann ich, meinen Mitschülern immer genauer zuzuhören. Ich saß neben ihnen im Café und hörte zu. Ich habe mich über meine Fortschritte in der schlesischen Sprache gefreut. Ich entdeckte den Stolz in mir, eine Schlesierin zu sein. Ich genoss mein Anderssein, das für mich einen großen Wert darstellte. Ich hatte Lust, in die ganye Welt yu schreien, wer ich bin. Warum es mir wichtig wurde, schlesische Bräuche zu pflegen und die "geheime" Sprache meiner Großeltern zu sprechen. Heute sprechen meine Freunde und ich immer öfter laut schlesisch. Wir sprechen mit Stolz über die Andersartigkeit unserer Region

In der Vergangenheit wurden die Schlesier beschuldigt, eine "getarnte deutsche Option" zu sein. Das sollte ein Schimpfwort sein, aber ich glaube nicht, dass es so gemeint war. Die schlesische Identität ist untrennbar mit den deutschen Wurzeln verbunden. Als ich meine schlesischen Wurzeln entdeckte, wurde mir klar, wie stark diese Traditionen miteinander verbunden sind. Paradoxerweise fördern junge Menschen aus der deutschen Minderheit auch unsere schlesischen Traditionen. Auf diese Weise wurde mir klar, wie sehr wir eine Art Gemeinschaft sind.

Ich persönlich hatte schon mehrmals das Vergnügen, Deutschland zu besuchen, da meine Familie dort lebt oder ich an einem Schulprojekt teilgenommen habe. Es waren die Kontakte mit Deutschen, die mir geholfen haben, mich als Schlesierin zu finden, die stolz auf ihre Herkunft ist. Und vice versa. Meine Offenheit für das Schlesische hat mir ermöglicht, meine deutschen Wurzeln besser zu verstehen.

Ich habe kein Problem damit, obwohl es in meinem polnischen Umfeld große Ressentiments gegen das Schlesische gibt. Es gibt immer noch Menschen, die sich über unsere Kultur lustig machen, die diejenigen, die unsere schlesische Sprache sprechen, mit Flüchen belegen. Aber ich stelle fest, dass es immer weniger davon gibt. Stattdessen wächst die Zahl der Menschen, die diese Sprache sprechen. 

Ich bin erstaunt, dass gebildete Menschen mit einem ausgeprägten Umwelthintergrund bei der Arbeit ohne eine Spur von Verlegenheit schlesisch sprechen. Beiträge, die den Unterschied zwischen Schlesien und dem übrigen Polen aufzeigen, brechen im Internet Rekorde. 

Ich freue mich sehr, dass in einigen Schulen Schlesischunterricht angeboten wird. Ich habe die Bemühungen um die Kodifizierung der schlesischen Sprache verfolgt, und es scheint mir, dass die Chancen für eine offizielle Anerkennung und damit für eine Veredelung der schlesischen Sprache steigen.

Schlesisch hat einen langen Weg hinter sich, der sicherlich noch nicht zu Ende ist. Es hat sich von einer Raupe in einen wunderschönen Schmetterling verwandelt, der hoffentlich so weit wie möglich fliegen wird. 

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Elżbieta Łęgowik