20.10.2023
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Wie kann man eine Niederlage in einen Erfolg verwandeln?

Die deutsche Minderheit nach den Parlamentswahlen

Seit 33 Jahren hatte die Organisation der deutschen Minderheit einen Vertreter im polnischen Parlament. Die verlorene Wahl ist ein wichtiger Wendepunkt in der Geschichte dieser Gemeinschaft. Die Verzweiflung der VdG-Elite gegenüber der fortschreitenden Marginalisierung ist eine Bedrohung für die Organisation, die es zu überwinden gilt. Sie brauchen dringend neue Modelle und neue Initiativen.

Wahlen

Jetzt, wo sich der Staub des monatelangen Wahlkampfes gelegt hat und die Realität nach der Wahl eingetreten ist, freuen sich viele Wähler, dass ihre Wahl richtig war und der "auserwählte Kandidat" auf den Bänken des Parlaments sitzen wird. Doch wie bei einer Medaille: Die sprichwörtlich hat sie immer zwei Seiten - so gibt es auch hier neben den Gewinnern auch Verlierer.

Bei der Analyse des endgültigen Wahlergebnisses sticht ein Ergebnis besonders ins Auge: es gibt keinen Vertreter der deutschen Minderheit im Parlament. Es ist kein Geheimnis, dass es seit dem politischen Durchbruch 1989 immer einen Vertreter der Minderheit im polnischen Parlament gegeben hat. Und obwohl die  Minderheit sich zwei Parlamentssitze erhoffte, blieb im Endeffekt nur ein bittere Nachgeschmack einer Niederlage, da fast 4.000 Stimmen zum Erfolg fehlten.

Wie sich herausstellt, ist die Bewunderung der Minderheitenaktivisten für eine professionell und gut geführte Kampagne viel zu wenig, um einen Wahlerfolg zu feiern. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Zahl der Mitglieder und Unterstützer der Minderheiten seit langem nicht sehr hoch ist und Gerüchten zufolge sogar allmählich zurückgeht. An dieser Stelle muss auch mit dem Mythos aufgeräumt werden, dass einer Minderheit angeblich mindestens ein Sitz im Parlament garantiert ist und dass die Stimmen der Wähler zweitrangig und unwichtig sind.

Die Realität hat ein ganz anderes Bild gezeigt. Es lohnt sich jedoch, darüber nachzudenken, ob dies ein Bild der Niederlage oder ein Eimer der Ernüchterung ist. Betrachtet man die verkündeten Ergebnisse, so zeigt sich, dass die Orte, in denen die Mehrheit der Einwohner eine Minderheitenzugehörigkeit angegeben hat, sich überraschenderweise für die Zivile Koalition oder Recht und Gerechtigkeit entschieden haben, und erst an nächster Stelle der Wahlausschuss der Deutschen Minderheit.

Es stellt sich die Frage, ob das Erreichen des richtigen Ergebnisses nur in der Verantwortung der Wählerinnen und Wähler liegt oder auch in der Verantwortung der Führungspersönlichkeiten, deren Aufgabe es ist, ihre Gemeinschaft zum Sieg zu führen. Vergleicht man die Wahlergebnisse von 2019 mit denen von 2023, so ist ein deutlicher Rückgang von mehr als 6.000 abgegebenen Stimmen zu erkennen, der sich in den einzelnen Kandidaten und vor allem in den führenden Vertretern der deutschen Minderheit widerspiegelt.

Es ist bedauerlich, dass die letzten Kommunalwahlen, die einen Rückgang der Unterstützung für die deutsche Minderheit vorhersagten, die Verantwortlichen nicht zu überlegtem und strategischem Handeln oder zu einem offenen Dialog motiviert haben. Menschen mit einem breiteren politischen Spektrum oder einfach mit anderen Ansichten wurden nicht zu Gesprächen eingeladen.

Wenn man die Kommentare nach der Wahl liest, stellt man fest, dass viele Menschen ihr Mitgefühl und ihren Trost in dieser hoffnungsloser Situation zum Ausdruck bringen. Nicht wenige Kommentare sind jedoch von der Stimme der Vernunft durchdrungen - sie weisen auf potenzielle Schwachstellen hin und zeigen mögliche Lösungen im Kontext der kommenden Zukunft auf.

Vielleicht nehmen die führenden Vertreter der Minderheiten die diesjährige Niederlage ja als Anstoß für innovativeres Handeln und zeigen damit, dass dieses Umfeld kein hermetisches Gebilde ist, das nur den "Seinen" zugänglich ist. Dass es jedoch viele Menschen guten Willens gibt, denen die Entwicklung und die Aktivitäten der Zivilgesellschaft mit Respekt vor Geschichte, Tradition und Kultur am Herzen liegen. Menschen, vor denen die deutsche Minderheit ihre Türen verschlossen hat.

Es lohnt sich, immer daran zu denken, dass vor allem der Dialog ein Mittel zum Erfolg ist und nicht nur ein korrekt arrangiertes Medienbild.

Unsere Postulate!

In den letzten Jahren hat die Minderheit begonnen, einem Ghetto für gewählte zu ähneln. Wer nicht den Segen von oben hatte, hatte in dem vom VdG (Verband der deutschen soziokulturellen Vereine in Polen) abhängigen Vereinen nichts zu suchen. Die Folge dieser Politik war, dass die Organisationen nicht nur schrumpften, sondern auch verarmten. Wie neidisch kann man da auf die schlesischen Schwestergemeinden sein, in denen Intellektuelle und Künstler von europäischem Rang zu Hause sind!

Es ist nicht so, dass es im deutschen Minderheitenmilieu keine herausragenden Persönlichkeiten gäbe - ganz im Gegenteil. Diese Personen wurden nur wirksam von einer Zusammenarbeit mit VdG-Organisationen abgehalten. Die Öffnung zu deutschen Intellektuellenkreisen im Oppelner Raum ist unsere Hauptforderung.

Die deutsche Minderheitengemeinschaft besteht aus Autochthonen mit deutschen Wurzeln. Autochthone, deren Vorfahren im 19. Jahrhundert von den einwandernden Deutschen viel Schlimmes erleiden mussten. Menschen, die  auch viele schlechte Erfahrungen mit den heutigen Deutschen gemacht haben. Daher ist die Einstellung der Autochthonen zum Deutschtum derzeit ambivalent.

Für die Autochthonen ist die Verbindung von preußischen Traditionen mit der Verbundenheit zur Heimat, zum Familienland das Wichtigste. Sehr Bedeutend ist die Bindung an die schlesische Sprache, die die natürliche Sprache dieser Umgebung ist. Sie bildet auch eine klare soziologische Abgrenzung zu ihrer Umgebung.

Eine ausverbreitete Interesse die deutsche Sprache zu beherrschen, geschweige davon sie im Alltag zu benutzen gibt es jedoch nicht. Ebenso ist es schwierig, in diesem Umfeld Anzeichen von Nostalgie oder Interesse an der zeitgenössischen deutschen Kultur zu erkennen. Meiner Meinung nach gibt es sie nur in seltenen und besonderen Fällen.

Die Betonung der preußischen Traditionen, die Verbundenheit mit dem Heimatland und der Verzicht auf den Import der Kultur des modernen Deutschlands ist eine weitere große Forderung.

Wir stehen am Vortag von zwei äußerst wichtigen Ereignissen.

- Durch die vergangenen Wahlen ist es sehr wahrscheinlich, dass die schlesische Minderheit als ethnische Minderheit anerkannt werden wird. Das ist eine enorme Gemeinschaft mit fast 600 000 Autochthonen. Das gibt auch ein  zehnmal größeres Ergebnis, als die Gruppe der Menschen, die sich zur deutschen Minderheit bekennen. Die Legalisierung der schlesischen Gemeinschaft und ihrer starken intellektuellen Basis wird die deutsche Minderheit zweifelsohne an den Rand drängen.

- Die Eingliederung des südlichen und mittleren Teils der Woiwodschaft Oppeln in die Woiwodschaft Schlesien wird immer realistischer. In diesem Fall würde die deutsche Minderheit zu einer politisch bedeutungslosen Ephemera werden. Nicht einmal das deutsche Geld kann sie vor der Marginalisierung bewahren.

Der Fazit ist einfach. Der VdG hat zwei Möglichkeiten: Entweder hält er an der Fiktion des angeblichen Deutschtums der autochthonen Gemeinschaft fest und marginalisiert sich von Jahr zu Jahr mehr.

Oder…

Sich für eine enge Zusammenarbeit mit den schlesischen Organisationen entscheiden und so versuchen, die preußische Identifikation und Tradition in diesem Umfeld zu stärken. Und das sollte so schnell wie möglich geschehen.

Denn wenn die Schlesier erst einmal als ethnische Minderheit anerkannt sind, ist der VdG für sie kein ernstzunehmender Partner mehr und werden ihn für nichts mehr brauchen.

Man hat jedoch den Eindruck, dass die Eliten der deutschen Minderheit befürchten, dass sie, wenn sie ihre schlesische Komponente zu sehr betonen, ihre Legitimation verlieren, Mittel zu bekommen, die für die deutsche Minderheit gedacht sind. Und das gilt sowohl für die polnische als auch für die deutsche Seite. Das ist eine Politik, die dramatische, zerstörerische Folgen haben wird.

Eine weitere Forderung: Es ist notwendig, den Schwerpunkt von der populären, volkstümlichen Kultur auf die Förderung anspruchsvoller kultureller Veranstaltungen zu verlagern. Solche, die sowohl von der deutschen Intelligenz in Oberschlesien als auch von den polnischen Nachbarn respektiert werden.

Natürlich ist die Verwirklichung unserer Forderungen kein Wundermittel zur Verbesserung der Lage der deutschen Minderheit. Es gibt auch keinen Anspruch darauf, dass nur diese Forderungen verwirklicht werden. Aber wir können davon ausgehen, dass ihre Umsetzung viele verirrte Autochthone für die Organisation gewinnen könnte.

Peter Karger

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Anna Stawiarski