Neue Perspektiven

Die deutsche Minderheit verzichtet auf die politischen Tätigkeit

Zum ersten Mal seit 1989 wird die Organisation der deutschen Minderheit ihre Wahlliste nicht aufstellen und aufhören, als unabhängige politische Kraft in der Region zu existieren. Dieser Akt der Selbstauflösung wird vermutlich DFK-Mitgliedern, die von der TSKN jahrelang an den Rand gedrängt und isoliert wurden, ermöglichen, auf die politische Bühne zurückzukehren. Józef Kotyś ist einer von ihnen.

Im Folgenden stellen wir einen Text des ehemaligen stellvertretenden Marschalls der Woiwodschaft Oppeln, Józef Kotyś vor.‍

Ich bin keine getarnte deutsche Minderheit, sondern die echte!

Der 2017 verstorbene rheinland-pfälzische Landtagspräsident Joachim Mertes sagte einmal bei einem Spaziergang am Rhein zu mir: "Schau Josef, ich bin nicht geschieden, ich gehe in die Kirche und ich gehe nicht zu Fußballspielen. Und trotzdem bin ich ein führender SPD-Politiker!". - Ich komme gerne auf die Worte dieses Freundes des Oppelner Landes zurück, denn in ihnen steckt die Wahrheit über einen Politiker, der sich von seiner Umgebung nicht vorschreiben ließ, wie er zu sein hat. 

Ehrlichkeit in der öffentlichen Tätigkeit ist ein knappes Gut. Denn wie kann man den Menschen sagen, dass wir keine 100.000 Wohnungen bauen werden, wenn wir nur das Geld für 20 haben? Das ist so, als würde man ein Mädchen beim ersten Date darauf hinweisen, dass sie einen schlechten Haarschnitt hat. - Ehrlichkeit in der Politik hat ihren Preis, und man sollte den Führern der eigenen Organisation nicht sagen, dass sie im Unrecht sind. Dafür riskiert man, aus hohen Positionen zwangsgeräumt zu werden, was auch mir passiert ist.

Im Frühjahr 2018 beschloss ich, eine Pause von der öffentlichen Tätigkeit einzulegen. Es gab zu viele Personen an der Spitze der Gesellschaft, der ich seit ihrer Gründung angehöre, an die ich nicht geglaubt habe. Der Verzieht auf den Schild „Deutsche Minderheit“ bei den diesjährigen Kommunalwahlen hat mich jedoch dazu inspiriert, mich wieder für meiner Umgebung zu engagieren.

Vor mehr als 20 Jahren haben wir uns mit dem damaligen Marschall der Woiwodschaft Oppeln, Stanisław Jałowiecki (PO), Gedanken darüber gemacht, wie wir ein unverfälschtes multikulturelles Bild unserer Region gewährleisten können. Halb im Ernst schlug er vor, dass wir gemeinsam ein Theaterstück schreiben könnten, das zeigt, wie wir sind. Ein Theaterstück, das im Jan-Kochanowski-Schauspielhaus in Oppeln aufgeführt und einer der vielen Steinchen sein würde, die zu einem starken Fundament der Region beitragen würde. 

Und vielleicht würde das Publikum plötzlich ins Theater strömen wie in die Schlesische Oper in Beuten? - Träume? - Nein, das ist eine Angelegenheit, die in dem Landtag diskutiert werden müsste! Denn in Kattowitz besuchen Zehntausende von Menschen auf kommerzieller Basis Theaterstücke, die auf schlesischen Traditionen eingehen und die Begeisterung wecken.

Joseph von Eichendorff macht sich gut auf Straßenschildern, aber sonst... Schweigen! Wie wäre es, ein Poesiefestival nach seinem Namen zu veranstalten, um der Welt zu zeigen, dass er aus dieser Gegend stammt? Vielleicht sollte man 'Aus dem Leben eines Taugenichts' wieder in Oppeln inszenieren? Vielleicht wäre es auch sinnvoll, einen Wettbewerb für ein Theaterstück auszuschreiben, das sich auf die Multikulturalität der Region bezieht, über die Staszek Jałowiecki und ich gesprochen haben? 

Wenn ich mich umschaue, sehe ich, dass ein Teil unserer Nachbarn aus dem Ausland zurückgekehrt ist, und einige haben sich bereits dauerhaft in Deutschland und anderen westlichen Ländern niedergelassen. Was uns verbindet, sind Familienbande, Geschichte und Tradition. Natürlich wäre es schön, wenn möglichst viele von ihnen in die alte Heimat zurückkehren würden. Viele von ihnen sind durch die derzeitige Situation in Deutschland frustriert, andere verspüren noch immer eine starke Sehnsucht nach ihrem Heimatland. Es müssen Möglichkeiten geschaffen werden, damit sie sich hier wohlfüllen können. Notwendig ist der Ausbau der Infrastruktur, aber auch die Schaffung von eigenständigem kulturellem Leben. 

Eine ernsthafte Debatte über die Identität der deutschen Minderheitengemeinschaft ohne ideologische Vorurteile ist notwendig. Es scheint wichtig zu sein, materielle Artefakte zu schaffen, um die herum sich die Identität herauskristallisieren könnte. Die Rekonstruktion und Wiederbelebung solcher Denkmäler könnte auch eine gemeinsame Aufgabe werden. In meiner Funktion als stellvertretender Marschall ist es mir einmal gelungen, zur Restaurierung und anschließenden Aufnahme in die UNESCO-Liste der Hängebrücke in Malapane beizutragen. Dies ist historisch gesehen das erste Bauwerk dieser Art auf dem europäischen Kontinent. Das gesamte Malapane-Tal ist mit postindustriellen Denkmälern aus der preußischen Zeit übersät. Die Rotunde der Festung Cosel aus dem Jahr 1805 verdient es, restauriert zu werden. Auch sie ist ein Denkmal von europäischer Bedeutung. Wir haben viel zu tun, um das historische Gesicht unseres Landes wiederherzustellen. Und ich möchte meinen Teil dazu beitragen.

Ich habe mich entschieden, von der Liste der Bürgerlichen Koalition (KO) für den Landtag zu kandidieren, weil ich mich mit deren Modernisierungsbestrebungen, ihrer Offenheit für Europa und ihrer Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Deutschland voll und ganz identifiziere. Mit diesem Umfeld verbindet man kluge und offene Menschen. Und ich habe nie so getan, als wäre ich Grieche. Deshalb schäme ich mich nicht, von mir zu sagen, dass ich zur deutschen Minderheit gehöre, auch wenn ich auf der Liste der Bürgerlichen Koalition (KO) zur Kommunalwahl antrete. Das ist für mich selbstverständlich. 

In den letzten fünf Jahren habe ich in den Wäldern entlang der Malapane eine kleine Pause von der Politik eingelegt, an Frische gewonnen und eine neue Sichtweise auf einige Themen gefunden. Eine Sache hat sich aber nicht geändert. Um eine Passage aus der schlesischen Hymne zu zitieren: "Ich bin immer noch bereit, für dieses Land zu leben!".

PS. Zu dem am Anfang angesprochenen Satz von Joachim Mertes: Ich habe immer noch die eine und einzige Frau, gehe regelmäßig in die Kirche, aber - im Gegensatz zu ihm - mag ich Fußball. Manchmal spiele ich auch etwas auf der Gitarre und singe. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Józef Kotyś

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Gute Nachbarschaft und Kultur

Jozef Kotyś hat verstanden, dass diese Vorstellungen vom Deutschtum, die die heutigen Eliten der TSKN der Autochthonen aufzwingen wollen, einfach anachronistisch sind. Die Autochthonen können und wollen sich nicht mit den heutigen Deutschen identifizieren. Der Import einer "deutschen" Identität aus dem Westen hat sich in der letzten Zeit als eine Sackgasse erwiesen. Kotyś erkannte, dass die Autochthonen eine relativ homogene Gruppe mit eigenen Merkmalen sind.

Nach dem Rücktritt von Henryk Kroll als TSKN-Vorsitzender galt Kotyś als einer der wahrscheinlichsten Anführer dieser Gemeinschaft. Nestor Kroll hält ihn nach wie vor für den wichtigsten Politiker der deutschen Minderheit. 

2008 wurde der charismatische Norbert Rasch zum TSKN-Vorsitzenden gewählt, der sich als echter Idealist auch in diesem Amt nicht lange halten konnte. Wie bei anderen echten Despoten dieser Welt wurde der unabhängig denkende Kotyś von den neuen Eliten der TSKN ausgegrenzt. Er konnte sich zu Recht als eines der Opfer der neuen Führung der TSKN fühlen. Er erhielt sogar den informellen Status eines Geächteten, und wer es wagte, mit ihm zusammenzuarbeiten, riskierte, selbst auf die schwarze Liste zu geraten. Eine unangenehme, aber leider gängige Praxis in der Organisation der deutschen Minderheit.

Zu Beginn des Jahres 2024 hat der TSKN-Vorstand beschlossen, die eigene politische Tätigkeit aufzugeben. In den vergangenen Jahren war dies der Schwerpunkt der TSKN-Aktivitäten gewesen. Sie war ihre treibende Kraft und ein grundlegendes Kriterium für die Selbsteinschätzung. Natürlich ist die Trennung der politischen und kulturellen Aktivitäten der TSKN richtig und notwendig. Aber die Konsequenz dieses Schrittes und das Fehlen einer überzeugenden Alternative könnten sich für die TSKN als eine ernsthafte zerstörerische Kraft erweisen. 

Der TSKN hat das Wahlkomitee "Schlesische Selbstverwaltung" (SS) zu seinem politischen Erben bestimmt. Anfangs schien es, dass diese Idee freudig begrüßt werden sollte. Es wäre überzeugend, die deutsche Minderheit für Autochthone zu öffnen, die einen deutschen Hintergrund haben, hier aufgewachsen sind und sich emotional mit ihrem Heimatland verbunden fühlen. Eine Öffnung für Menschen, die aus verschiedenen Gründen ihre Kenntnisse der deutschen Sprache verloren haben und nie wieder aufholen werden. Das ist auch nicht nötig, denn jeder weiß genau, dass die Sprache der deutschen Minderheit Schlesisch ist. Es scheint, als ob diese Namensänderung gleichzeitig eine Anerkennung der Tatsache würde, dass die autochthone Gemeinschaft ihre eigene habsburgisch-preußische Geschichte hat. 

Währenddessen erfahren wir, dass die Umwandlung des Wahlkomitees der deutschen Minderheit in den „Schlesischen Selbstverwalter“ (SS) ein Versuch ist, sich für polnische Kandidaten zu öffnen und gleichzeitig um die Unterstützung der polnischen Wähler zu bitten. Dies führt zu einer völligen Verwässrung einer Formation, deren Stärke die interne Solidarität und Loyalität zu den "Eigenen" war. Inwieweit diese Kehrtwende erfolgreich sein wird, werden wir in einigen Wochen herausfinden.

In dieser Situation gibt es aus Sicht von Józef Kotyś keinen ideologischen Unterschied mehr zwischen den „Schlesischen Selbstverwalter“ (SS) und der Bürgerkoalition (KO). Beide Gruppen sind offen für Europa und Deutschland, und beide unterstützen Initiativen, um die Region multikultureller zu machen. In der Tat war es eine der ersten Entscheidungen der neuen KO Regierung, die Anzahl der Deutschstunden in den Schulen zu erhöhen. Eine überzeugendere Beweis des Wohlwollens gegenüber der deutschen Minderheit lässt sich kaum finden. 

Aber vielleicht fällt es Kotyś durch seine stärkere Anbindung an die Partei, die derzeit das politische Leben im Lande beherrscht, leichter, die Initiativen umzusetzen, die er einst für die Region und die Autochthonen gestartet hat. Auch für die Bürgerliche Koalition (KO) wird er eine wichtige Figur sein. Im Jahr 1990 wurde er der jüngste Bürgermeister der Woiwodschaft. Er war vier Wahlperioden lang Landtagabgeordneter für die deutsche Minderheit und fünf Jahre lang stellvertretender Marschall (Ministerpräsident). Diese Zeit nutzte förderte er beispielsweise den Ausbau der Infrastruktur am Malapane, der dank ihm zur größten Touristenattraktion der Region wurde. 

Józef Kotyś gilt als hartnäckiger Mann, der seine Ziele konsequent durchsetzt. Seine Wahl zum Abgeordneten des Oppelner Landtages wäre zweifellos eine Chance für die gesamte Region. 

Man kann jedoch den Hellsehern zustimmen, die glauben, dass das politische Milieu der „Schlesischen Selbstverwalter“ (SS) früher oder später von einer der großen Parteien aufgesogen wird. Und so wird von den Träumen Johann Krolls von einer starken deutschen Minderheitenorganisation nur noch ein Trümmerhaufen übrig bleiben.

Aber vielleicht eröffnen sich gerade dann für Jozef Kotys und Seinesgleichen bessere Perspektiven für die Integration der Autochthonen. Vielleicht geling dann der Wiederaufbau einer deutschen Identität auf der Grundlage der schlesischen Sprache und der preußischen Denkmäler dieses Landes, die in den letzten 70 Jahren vernachlässigt wurden.

Peter Karger

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