3.1.2020
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Alfons Nossol ist unser Meister!

Die Autochthonen seien kosmopolitisch und hätten sich nie ethnisch definieren lassen

Erzbischof Prof. Dr. Alfons Nossol ist der Meinung, dass die Autochthonen ihre Vielfalt akzeptieren und sich nicht ablehnend gegenüber stehen sollen. Sie sollten mehr übereinander wissen, sich gegenseitig unterstützen und bereichern. Diese Ansichten des Erzbischofs könnten als Motto der Bemühungen von Spectrum.direct verstanden werden. Wir zitieren sie daher ausführlich.

Alfons Nossol
Foto: Natalia Klimaschka

Proprium silesiacum

Die Geschichte dieser Erde sind so verkompliziert, dass man sie auf rein historischer Basis nicht entwirren kann. Man muss das proprium silesiacum also auf einem anderen Weg zu fassen suchen. Die Eigentümlichkeit Schlesiens liegt in der Harmonie von Herz und Denken. Zweifellos, es gibt da noch andere Elemente: die Arbeitsamkeit, die Ehrlichkeit dieser Menschen, ihre Fähigkeit, Gegensätze zu versöhnen. Und dann gibt es noch ihre Gabe, sich diese ihre „Andersartigkeit” zunutze zu machen - auch das einigt diese Menschen sehr stark. Das Anderssein bekommt dadurch eine andere Dimension, eine andere Durchschlagskraft, und wird zum Fundament einer Perspektive, die in authentischer Weise auf die Zukunft hin offen bleibt. Eine Perspektive, die sich gegen jede Einengung wehrt. Und wir hier in Schlesien haben viele dieser Einengungen erleben müssen, man hat sie uns mit politischen Mitteln aufgezwungen und sie auf der nationalen, der ethnischen Ebene zum Austragen gebracht. Doch kein echter Schlesier hat sich jemals wirklich in ethnischer Weise einengen lassen, hat sich dadurch um seine großen Reichtümer in der „nationalen Sache” bringen lassen. Der Schlesier ist einfach wie ein „Birnbaum am Feldrain” - der bringt Früchte auf beiden Seiten des Feldes. In gewissem Sinne kann man sagen, dass das Wort „Vaterland” - ganzheitlich gesehen, als Begriff und als innerer Wert - für den Schlesier aufgrund der historischen Bedingtheiten etwas so Spezifisches ist, dass es fast zu groß gefasst erscheint. Das „Kleine Vaterland” hingegen, die Region, das, wo man zu Hause ist, ist wiederum zu klein, um das proprium silesiacum zu umfassen und zu charakterisieren. Abgesehen davon, dass diese Unterscheidung hier wenig Sinn macht, ist es zudem unmöglich, dieses authentisch schlesische proprium ohne die metaphysische, die übernatürliche Komponente zu umschreiben, ohne das Religiöse, ohne Gott. Wenn jemand diese wesentliche Komponente unterschlägt, wenn er darauf vielleicht auch noch stolz ist, so liegt darin, meines Erachtens nach, etwas Unauthentisches - das ist dann kein echtes Schlesiertum mehr oder aber ein sehr verletztes Schlesiertum.

In Schlesien hat es immer schon drei Ausrichtungen innerhalb der Bevölkerung gegeben: die pro-deutsche, die pro-polnische und die unparteiische - die „rein schlesische”. Man darf den Menschen diese dritte, indifferente Haltung nicht übelnehmen. Dazu bekennen sich meist Menschen, die sich - oftmals über Generationen hinweg - von den Regierenden auf beiden Seiten der Grenze hintergegangen fühlen. Die damaligen Auseinandersetzungen waren, bis zu einem gewissen Grad, ein - teilweise um jeden Preis geführter - Kampf um die Gunst eben dieser neutral Gebliebenen. Dieser Plan ist nicht wirklich aufgegangen. Und so fühlen sich bis heute viele Schlesier eben als „Schlesier” und nicht als Deutsche oder Polen. Sie haben sich die Möglichkeit der Wahl zunutze gemacht.

Dem Herzen und Verstand des Schlesiers ist ein breiter Kulturkreis eingeschrieben. Ein klassisches Beispiel dafür ist ein Ort im Oppelner Schlesien - Góra Św. Anny, der St. Annaberg. Es ist ein Versöhnungsort von Generationen, von Kulturen und Sprachen. Hier durfte jeder immer in der „Sprache seines Herzens” beten. Jeder durfte sich hier zu Hause fühlen, auf „seinem” Berg. Jeder unterstellte sich hier dem Schutz „seiner” Patronin, der Heiligen Anna, wusste sich von ihr verstanden in seiner Andersartigkeit, in seiner nationalen Ausrichtung, sogar in seiner politischen Einstellung. Der St. Annaberg war nie und wird auch nie ein rein politischer oder konfessioneller Identifikationsort sein. Denn dieser Ort gab und gibt eine diffenziertere, breitere Sicht auf die Welt. Dort oben, auf diesem Berg, erahnen wir ein wenig von den unbegrenzten Möglichkeiten Gottes, wir spühren etwas von seiner Unendlichkeit, seiner ewigen Dauer, die uns hilft, sämtliche Dimensionen der schlesischen Erde zu vereinigen. Der St. Annaberg bewirkte, dass wir Schlesier uns schon immer als Europäer gefühlt haben. Wir mussten unsere Nationalität oder Ethnizität nicht verleugnen, ebenso wenig wie unseren Patriotismus, Denn wir waren stets bemüht, diesen Patriotismus als eine „Gestalt der Liebe”, nicht des Hasses, zu leben.

Das schlesische Erbe verdankt sich drei Kulturdimensionen - der polnischen, der deutschen und der mährisch-tschechischen. Wir sind Erben von Generationen und Geschehnissen, die über diese dreidimensionale Einheit entschieden haben. Es ist unmöglich uns von vornherein eindeutig zu klassifizieren, in eine vorgefertigte Schublade zu stecken. Und doch, obwohl dieses schlesische proprium allen von uns zueigen ist, so besitzt doch jede Region - sei es Niederschlesien, das Oppelner Land oder das Kattowitzer Schlesien - wiederum sein jeweils eigenes proprium, seine spezifischen Akzentsetzungen, seine eigene Differenziertheiten. Über diese entschieden, wie etwa im Fall des Kattowitzer Schlesien, oftmals „kleine Geschichtsfragmente”, insbesondere die polnisch-bestimmte Zwischenkriegszeit dieses Landesteils, die dem Kattowitzer Schlesien neben kulturellem Reichtum und patriotischen Erbe auch eine stärkere nationale Eindeutigkeit verlieh. Hier, im Oppelner Schlesien, gab es das in diesem Ausmaß nicht, und so wurde das Oppelner Land zu einem Gebiet der gegenseitigen Ergänzung, der Bereicherung, die nach Kriegsende auch die Kultur der aus Lemberg umgesiedelten Polen einschloss. So haben wir hier im Oppelner Land eine „kosmopolitischere” Prägung erfahren, gleichzeitig fühlen wir uns dadurch aber auch ein wenig verloren, fast wie die Sterne auf dem unendlichen Himmelszelt.

Auf der regionalen Ebene ergänzen wir uns gegenseitig sehr gut, und diese Synthese von Oppelner und Kattowitzer Schlesien, das erst ergibt ein genaueres Bild von dem, was Schlesien eigentlich ausmacht. Wenn wir versuchen, Schlesien in seiner Ganzheit, seiner Integralität zu sehen, wenn wir jeder seiner Regionen in aufrichtiger Weise ihre Eigenheit zugestehen und nicht versuchen, bestimmte historisch und kulturell bedingte Charakteristika zu nivellieren, so wird es uns gelingen, uns gegenseitig ganz wesentlich zu bereichern. Wir werden fähig, etwas ganz Neues zu schaffen, eine Art neues Mosaik. Man könnte das Ergebnis dann treffend als ein schönes Beispiel für die „versöhnte Vielfalt” bezeichnen, deren einzelne Bestandteile einander niemals feindlich gegenüberstehen dürfen, sondern sich einander vielmehr in Offenheit zuwenden sollten, ineinandergreifen sollten wie Zahnräder, sich gegenseitig vervollständigen, bereichern und auch jeweils die Einengungen und Vorurteile des Anderen korrigieren sollten.


Mit der Erlaubnis von Erzbischof Alfons Nossol zitieren wir ein Fragment seines Textes aus dem Buch "Erzbischof Alfons Nossol. Aus seinem Leben, Denken und Wirken", Oppeln 2012.


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